Vereinsarbeit: »Eltern bieten großes Potenzial, das man nutzen sollte«

Für manchen Trainer sind sie Störfaktoren. Dabei können Eltern den Verein und das Ehrenamt unterstützen – wenn man ihnen die Dinge im Fußball nur gründlich genug erklärt und sie einbindet. Von SUSANNE AMAR und GERD THOMAS

Zwei Hartplatzhelden, die Kommunikationsexpertin im Kinder- und Jugendfußball Susanne Amar und Gerd Thomas, haben im Namen des FC Internationale Berlin zuletzt drei Veranstaltungen durchgeführt. Eingeladen waren Vorstände, Coaches und Eltern, diskutiert wurden aktuelle Herausforderungen des Ehrenamts im Amateursport.

Die Ergebnisse werden demnächst schriftlich aufgearbeitet, aber so viel sei verraten: Kommunikation wird in allen Bereichen des Amateurfußballs ein stärkeres Gewicht zukommen. Zwar ist die Digitalisierung nicht aufzuhalten, doch sie kann nie den persönlichen Kontakt ersetzen. Die Veranstalter waren mit der Reihe sehr zufrieden, besonders gefallen hat ihnen die Veranstaltung „Fußballeltern: Das Team hinter dem Team“. Hier ein Dialog der beiden über ihre Erkenntnisse:

Gerd: Hallo Susanne, das waren großartige Termine. Besonders beeindruckend waren die Ergebnisse zum Thema Eltern, oder?

Susanne: Hallo Gerd, es hilft, Eltern Grundsätzliches zu erklären, ihnen zu zeigen, wie der Fußball „funktioniert“ und wo es ihrer Unterstützung Bedarf. Generell kamen viele Gruppen miteinander ins Gespräch. Das ist wichtig, denn wir müssen unser Handeln, unsere Gründe anderen erläutern und uns kennenlernen. Nur so ist ein Miteinander möglich.

Gerd: Warum ist das wichtig? Ist es nicht vor allem nötig, dass der Coach eine klare Linie hat und sich durchsetzen kann?

Susanne: Wir sind in unterschiedlichen Rollen: Trainer, Spieler, Eltern, Vorstände. Die Erwartungen unterscheiden sich oft, vor allem aber unser Wissensstand. Menschen gehen unterschiedlich mit Problemen um. Wenn wir anderen spiegeln, wie wir uns in einer Situation fühlen, hilft das, ein besseres Verständnis füreinander aufzubauen. Es bleibt wichtig, miteinander zu sprechen.

Gerd: Kannst du das erläutern? Die meisten Mannschaften werden heute eher über Team-Apps oder Chatgruppen organisiert.

Susanne: Solche Gruppen können bei der Organisation helfen, aber man kann darin schwer Diskussionen führen. Es ist beispielsweise wichtig, in einem Gespräch auch mal zu versuchen, sich in das Gegenüber zu versetzten. Oft geht man von Annahmen aus, die nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Gerd: Hast du ein Beispiel?

Susanne: Mancher Trainer kommt zu dem Schluss: „Die Eltern wollen gar nicht!“ oder: „Deren Interesse, sich zu beteiligen, fehlt!“ Dabei wissen viele Eltern nicht, was von ihnen erwartet wird, wo sie konkret helfen können. Weil es ihnen niemand erklärt. Deshalb empfehle ich unbedingt vor jeder Halbserie einen Elternabend.

Gerd: Elternabende sind zunehmend unbeliebter.

Susanne: Wenn ich nur einen Zettel mit Regeln und Verboten bekomme, hilft ein Elternabend nicht. Wenn wir es aber schaffen, Eltern und Verein im Sinne der Kinder zu einem Team zu formen, haben alle etwas davon. Wir erfahren einfach mehr voneinander, können die Stärken der Einzelnen besser fürs Ganze nutzen. Dabei ist es wichtig, individuell auf den Verein und die Mannschaften zu schauen. Jeder Verein hat seine eigene DNA und muss selbst herausfinden, was für ihn am besten passt.

Gerd: Einige Eltern wollen Einzelgespräche. Wie sieht es damit aus?

Susanne: Wir müssen immer berücksichtigen, was Trainer leisten können. Aber natürlich können vertrauliche Gespräche helfen. Nehmen wir an, ein Kind kommt dauernd zu spät. Vielleicht sind die Gründe familiärer Art, weil ein Elternteil alleinerziehend ist und noch zwei weitere Kinder hat. Da kann es schon mal passieren, dass sie/er es nicht immer pünktlich schafft. Hier hilft offene Kommunikation unter vier oder sechs Augen. Vielleicht können andere Eltern das Kind zum Training abholen und wieder nach Hause bringen. Lösungen sind manchmal einfach.

Gerd: Ganz konkret: Wo kann ich als Trainer die Eltern in die Teamstruktur einbinden?

Susanne: Viele Eltern tun sich schwer mit dem Umfeld eines Vereins, gerade wenn sie noch keine Erfahrung haben. Eltern stehen in der Vereinsstruktur fast immer weit unten. Aber ohne sie geht es nicht. Viele Eltern kennen den Fußball nicht. Die Vereine sollten ihnen erklären, was erwartet wird, aber auch wo Mütter und Väter Hilfe leisten können. Sie können etwa die Trikots waschen, die Mannschaft mit Getränken oder Obst versorgen, die Kinder zum Auswärtsspiel transportieren, in höheren Altersklassen die Unparteiischen betreuen. Schiedsrichter, die sich wertgeschätzt fühlen, sind dankbar. Meist geht es dann auf dem Platz entspannter zu.

Gerd: Nun gibt es Vereine, die sehen Eltern eher als Gegner denn als Partner. Was sagst du denen?

Susanne: Meine erste Frage an die Vereine lautet immer: „Wollt ihr mit den Eltern zusammenarbeiten?“ Das müssen die Vereinsverantwortlichen für sich ehrlich beantworten. Wir hören überall, das Ehrenamt geht in die Knie. Mein Tipp: Eltern bieten ein großes Potenzial, das kann man nutzen. Es müssen nicht alle Trainer werden. Aber wir können Eltern in viele kleinere Aufgaben einbinden. So können sie zum Beispiel Neuankömmlingen erklären, wie der Verein tickt. Und manchmal werden aus Eltern später Jugendleiter oder Vorsitzende, wie du weißt. Wenn man sie hingegen nicht einbezieht, passiert auch nichts. Wer kommt schon von selbst und erklärt: Ich würde gern in der Vereinsarbeit mitarbeiten, wenn man gar nicht weiß, was da auf einen zukäme und ob man erwünscht ist?

Gerd: Welche Erfahrung hast du persönlich gemacht?

Susanne: Ich habe mit unserem Sohn Vereine kennenlernen dürfen, die mich als Mutter nicht willkommen geheißen haben. Da fällt es dann schwer, Unterstützung anzubieten.

Gerd: Viele Vereine hängen Plakate für die Eltern auf, an was die sich zu halten hätten. Verbände hängen Transparent auf: „Liebe Eltern. Anfeuern erlaubt, aber positiv!“ Hilft das?

Susanne: Verhaltensregeln haben Sinn, aber Schilder oder Transparente alleine reichen nicht. Wichtig ist, dass den Eltern der Mehrwert für ihre Kinder erklärt wird und warum Regeln neben dem Platz notwendig sind. Viele haben kein Problem mit Kommentaren von außen, andere fühlen sich damit überhaupt nicht wohl. Man darf davon ausgehen, dass HB-Männchen am Rand für alle Kinder unangenehm sind. Nimmt das Überhand, hören Kinder mit dem Sport auf.

Gerd: Wie verhindert man das?

Susanne: Es hat Sinn, Eltern den Spiegel vorzuhalten. Wir haben mal einen Rollentausch gemacht. Die Eltern mussten spielen, die Kinder standen am Spielfeldrand und schlüpften in die Rolle der Eltern. Das war für einige erhellend, denn sie fühlten sich gar nicht mehr wohl, wenn die Sprösslinge ihnen ständig Anweisungen gaben.

Gerd: Nun stelle ich mir vor, ein 22-jähriger Trainer ordnet einen solchen Rollentausch an. Wie will der das hinkriegen?

Susanne: Trainer müssen sich gegenseitig helfen. Erfahrene Coaches sollten eher unerfahrene unterstützen, als eine Art Mentor. Das ist nicht so kompliziert, wie es sich anhört. Oft hilft es schon zu wissen, da ist jemand im Hintergrund, den ich mal um Hilfe oder Rat fragen kann.

Gerd: Sind die Vereine entsprechend aufgestellt?

Susanne: Das ist sehr unterschiedlich. Am Ende sind es immer Menschen, die dahinterstehen. Wünschenswert wäre natürlich eine aktivere Unterstützung der Politik, indem Programme zur Stärkung von Vereinen, aber auch zur Verbesserung der Dialogfähigkeit aufgelegt werden. Der Sport hat so viele Möglichkeiten, die Gesellschaft zu stärken. Das ist an den meisten Stellen leider nicht erkannt worden. Viele Trainerinnen und Trainer von heute sind die Führungskräfte von morgen. Und viele Eltern können daran mitwirken. Oft ist es ihnen, wie den Vereinsfunktionären, gar nicht bewusst.

Gerd: Dein Rat zum Schluss, damit Elternarbeit im Verein gelingt?

Susanne: Alle drei Parteien, also Verein, Eltern, Trainer, an einen Tisch bringen und dafür sorgen, dass alle bereit sind, voneinander zu lernen, ihre Kräfte zu bündeln. Im Sinne der Kinder. So entsteht eine belastbare Gemeinschaft, die am Ende erfolgreich sein wird.

Gerd: Vielen Dank, ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Die Veranstaltungsreihe umfasste drei Termine: Stärkung von Vereinsvorständen, Unterstützung von Trainerinnen und Trainern, Umgang mit Eltern. Verantwortlich war der FC Internationale Berlin, konzipiert wurde die Reihe von Susanne Amar und Gerd Thomas. Wir bedanken uns für die Unterstützung bei der Sportschule des Landessportbundes Berlin, der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, dem Berliner Netzwerk Fußball und Gesellschaft sowie der Deutschen Stiftung Engagement und Ehrenamt. Die Abschlussveranstaltung wird am 8. November 2024 stattfinden.

 


Wettbewerbsverzerrung: »Muss ich immer mit der besten Elf antreten?«

Hartplatzhelden-Kolumne # 66: In der Schlussphase der Saison geht es für die einen um alles. Die anderen nutzen sie für die Entwicklung der Mannschaft und nehmen Niederlagen in Kauf. Dieses Dilemma ist gar nicht so einfach zu lösen. Von MICHAEL FRANKE

Da ist sie also wieder: die Schlussphase der Saison, neudeutsch „Crunchtime“. Einzelne Spiele werden plötzlich zur Schicksalsfrage. Jeder Punkt zählt, wenn es um Auf- oder Abstieg geht. In den betroffenen Teams geht es rund. Da werden schnell noch Trainer getauscht oder Spieler aus dem Ruhestand reaktiviert. Es ist die intensivste Phase der Saison. Wenn es unklar ist, wohin es nächstes Jahr geht. Auch wenn es im Amateurfußball weder um ligenabhängige Sponsoren oder TV-Gelder geht – jede und jeder möchte gerne auf-, niemand möchte absteigen.

Letztlich sind von diesem Druck in der Regel nur wenige Teams betroffen. Manche stehen bereits als Auf- oder Absteiger fest. Andere rangieren im Niemandsland der Tabelle. Dort stellt sich die Frage, wie man mit der frühzeitigen Erreichung des Klassenerhalts umgehen kann.

Ohne Druck das Spiel erleben – als Spieler habe ich diese Spiele immer genossen. Und als Trainer nutze ich sie gerne. Spiele mit Wettbewerbscharakter, in denen man mal was probieren kann, in denen plötzlich das Spiel und nicht das Ergebnis im Vordergrund steht, sind für den Jugendcoach eine wunderbare Angelegenheit.

Das Problem: Trifft man in einer solchen Situation auf Teams, für die es um alles geht, wird es kompliziert. Ist es unsportlich, sich personell bereits auf die Folgesaison vorzubereiten, und die Aufstellung entsprechend anzupassen? Ist es unsportlich, neue taktische Abläufe im Wettkampf zu testen? Ist man verpflichtet, immer mit der aktuell besten Mannschaft anzutreten? Oder darf ich als Trainer die langfristige Entwicklung im Blick haben? Wird ein Dritter Opfer meiner Experimente, betreibe ich Wettbewerbsverzerrung?

Das ist schwierig zu beantworten. Denn es ist selbstverständlich, dass die Konkurrenz von allen Teams vollen Einsatz bis zum Ende erwartet. Andererseits ist es legitim, eine gesicherte Position sinnvoll für die eigene Entwicklung zu nutzen. Eindeutige Lösungen gibt es aus meiner Sicht keine. Oft hilft nur ein Kompromiss, auch das lernt man im Fußball.

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Sprachnachrichten, nein danke!

SPRACHNACHRICHTEN? NEIN DANKE! lautet der neue Untertitel meiner Messanging-App, die man aus Datenschutzgründen eigentlich nicht verwenden sollte, es aber doch tue, weil ich nicht von Diskussionen abgeschnitten werden will. Ich finde Sprachnachrichten nervig, manchmal unverschämt. Andere Diskussionen laufen über E-Mail-Gruppen, nur selten noch wird im Fußballverein die gute alte SMS verwendet.

Auch beim klassischen Social Media gibt es Unterschiede. Inzwischen ist Facebook von Instagram abgehängt, ganz Junge konferieren über den
hochproblematischen chinesischen Dienst Tik Tok, vor dem Experten warnen. Auf der Multiplikatoren-Ebene trifft man sich auch im Sport auf LinkedIn. Und dann gibt es noch die Homepage, von Kommunikationsexperten als Aushängeschild des Vereins bezeichnet. Ganz selten findet man Ankündigungsplakate oder gar Briefe, dabei könnten genau die so viel Irritation auslösen, dass es schon wieder interessant wird.

"Kommunikation ist die Königsdisziplin", sagte ein Kollege immer, wenn mal wieder eine Information nicht überall angekommen war. Das gilt für Sportvereine fast noch mehr als für Unternehmen, denn ein Verein mit schlechten Informationsstrukturen kommt schnell in Probleme. Beim FC Internationale haben wir mehr als 1300 Mitglieder zwischen 4 und 84 Jahren. Sie alle wollen erreicht werden, sie nutzen aber nicht dieselben Medien.

Da Kinder in der Regel ihre Eltern als Überbringer benötigen, kommt eine weitere Gruppe von so genannten Stakeholdern dazu. Auch wieder so eine Bezeichnung, die man früher nicht brauchte. Noch schlimmer finde ich übrigens den Begriff „Rechtehalter" für einen Sponsoren. Wer denkt sich so etwas aus?

Die Überforderung ist in vielen Vereinen spürbar. Erstens gibt es kaum Menschen, die das ganze Repertoire beherrschen. Zweitens ist die Zahl der Kanäle einfach zu groß, um sie adäquat bespielen zu können. Und trotzdem maulen immer wieder Leute, sie hätten etwas nicht mitgekriegt oder seien gar vorsätzlich nicht informiert worden. Was tun?

Zunächst gilt es herauszufinden, wer alles Informationen aus dem Verein benötigt. Man wird schnell darauf kommen, dass es noch weitere Systeme gibt, wie bspw. das DFBnet. Und die Zahl von Adressaten wird sich schnell erhöhen, denn auch Ämter, Sponsoren, Spender oder die örtlichen Medien wollen wissen, was im Verein passiert.

Es hat Sinn, ein Medienteam zusammenzustellen, das sich am besten um Fotos, Videos oder anderes Bildmaterial kümmert. Eine Person macht dann Instagram und Facebook, eine andere kümmert sich um den Internetauftritt, eine dritte um die Außendarstellung zu relevanten Gruppen. Und jede Person sollte bei Urlaub oder Krankheit auch vertreten werden können. Wir planen übrigens, künftig mit einer woanders schon getesteten Vereins-App zu arbeiten.

Wichtig ist, eine Kommunikationslinie festzulegen. Wenn man auf einem Kanal nur über die Herrenmannschaft und Feste, auf einem anderen nur über Frauenteams und Jubiläen, auf dem dritten über die Jugend und Ehrenamt berichtet, wird es schnell unübersichtlich. Gerade auf der Homepage sollte man möglichst einen breiten sportlichen Überblick geben, aber auch Jubiläen, Feiern oder besondere Vorkommnisse abbilden.
Gleichwohl sollte der Sport im Vordergrund stehen. Auf einem geschäftlichen Netzwerk wie LinkedIn postet man keine Ergebnisse. Hier geht es darum, zu vermitteln, welche Vorzüge oder Bedarfe ein Verein hat.

Schafft man es nicht, alle interessanten Kanäle zu bespielen, lässt man einfach welche weg. Am wichtigsten ist eine gut gepflegte Homepage, auf der Ansprechpartner, Infos zum Verein, Spielankündigungen und besondere Ereignisse zu finden sind. Als in der letzten Woche unser
Kooperationspartner BWB (Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung) Deutscher Meister wurde, war das natürlich eine Meldung auf der Internetseite wert. Wenn der DFB-Präsident zu Besuch kommt, muss auch das erwähnt werden. Aber die meisten Leute werden sich dafür interessieren, was es im Verein Neues gibt, wenn zum Beispiel ein neuer Trainer für die A-Jugend kommt.

Es wird nicht möglich sein, immer alle zu deren Zufriedenheit zu erreichen. Aber Kommunikation kann man nicht mehr allein über Aushänge im Schaukasten machen, wie im letzten Jahrhundert. Informationen sind den Mitgliedern wichtig, gern auch mündlich auf der Sportanlage. Ehrenamtliche gewinnt man in der Regel nicht über anonyme Aufrufe auf der Homepage. Am besten sind kontaktfreudige Menschen aus dem Vorstand oder aus der Trainerschaft, die einfach mal bei Mitgliedern oder Eltern fragen, ob sie nicht Lust hätten, sich im Verein zu engagieren. Es muss ja nicht gleich der Schatzmeisterposten sein.

Aber warum soll nicht eine Mutter oder ein Vater in der Zeit, wo das Kind sich auf dem Trainingsplatz tummelt, den Merchandising-Verkauf übernehmen, die Fahrten am Wochenende oder die Wäsche organisieren? Kleiner Tipp: Fast jeder Verein hat ein zwei „Menschenfänger", die eine besondere Ader haben, Menschen von der Mitarbeit zu überzeugen. Setzt sie ein.

Für das Jahresende habe ich mir etwas ausgedacht. Ich verschicke an Menschen, die ich schätze, eine Postkarte. Da es sehr viele Personen sind, fange ich bald an. Oder doch lieber...? Das Beste ist wohl doch, Leute ab und zu mal anzurufen oder gar von Angesicht zu Angesicht miteinander zu reden. Da kann man dann auch eventuelle Missverständnisse gleich ausräumen und erfährt sogar noch ein bisschen übereinander über Sorgen, Nöte, Bedürfnisse. Vielleicht gibt es sogar mal ein Lob. Ich glaube, die Zeit ist gut investiert.


Eine Kultfigur im Wandel der Zeit

Jeder Kicker kennt ihn, zumindest aus den Anekdoten der Alten: den Platzwart der alten Schule. Platzwarte hatten Macht. Welche Kabine bekommen wir? Welcher Platz darf bespielt werden, welcher ist gesperrt? Ist der Rasen gemäht? Ist die Dusche heute wieder mal warm? Für all diese Fragen gab es einen Entscheider, den Platzwart. Ich bleibe bewusst bei der männlichen Form, weibliche Platzwarte gab es einfach nicht.

Die Platzwarte waren echte Tausendsassas. Sie mähten den Platz und lockerten die rote Erde. Sie reinigten Kabinen und Duschen. Sie markierten den Platz und steckten zur Krönung die Eckfahnen rein. Sie leerten Abfalleimer, reparierten die Gastherme der Dusche und dienten als Ansprechpartner für die Vereine. Viele Platzwarte hatten kleine Wohnhäuser auf den großen kommunalen Sportanlagen. Es war vor allem zu Zeiten des Spielbetriebs ein echter Rund-um-die-Uhr-Job. Der Mann war beschäftigt.

Irgendwann wurde alles anders. Nach und nach verwandelte sich der Tausendsassa zum telefonierenden Manager. Seine direkten Aufgaben nahmen ab. Arbeitssicherheit, Gewährleistungsrecht, Arbeitszeitgesetz usw. führten dazu, dass die Platzwarte auf den großen kommunalen Sportanlagen mittlerweile für jede Arbeit Dienstleister beauftragen und die der erteilten Aufträge überwachen. Die Platzwarte beschränken sich zunehmend darauf, die Anlage zu schließen und zu öffnen, sowie auf ihre Anwesenheit als solche.

Diese Umverteilung der Tätigkeiten führt zu viel höheren Kosten. Die Personal- und Wohnkosten bleiben, die Rechnungen der Dienstleister kommen hinzu. Dieses Effizienzdilemma ist der Stadt München nun aufgefallen. Denn eigentlich liegt es nahe, den nutzenden Vereinen die verbliebenen Aufgaben der Platzwarte zu übertragen. Unglücklicherweise wurde dieser Vorstoß aber mitten in die bisher größte Krise des Ehrenamts gelegt. Die Vereine bekommen die ureigensten Aufgaben kaum mehr mit Freiwilligen belegt. Wie sollen diese Arbeiten dann noch „on top“ übernommen werden?

Vielleicht ist das aber auch der richtige Zeitpunkt umzudenken. Warum sollte ein Facility-Manager eigentlich nur eine Anlage betreuen und nicht gleich mehrere? Warum soll das ehrenamtlich gemacht werden? Warum fährt die Kommune eine Friss-oder-stirb-Kommunikation, statt mit den Vereinen die Optionen vorab zu klären und Lösungen zu erarbeiten?

Den Platzwart der alten Schule braucht keiner mehr. Die zuverlässige Wartung und Pflege von Plätzen und Anlagen brauchen noch immer alle. Im Amateurfußball ist auch beim Thema Platzwart Kreativität gefordert.


Gerd Thomas Kolumne Hartplatzhelden

Es geht um viel mehr als die vegane Bratwurst

Nachhaltigkeit ist in aller Munde – auch im Fußball. Die DFL hat ihre Vereine quasi verpflichtet, sich darum zu kümmern, sie wird sogar ein Lizenzkriterium. Mit dem 1. FC Köln ist unter der Regie von Alexander Wehrle ein Profiverein vorangegangen und hat sich vom TÜV Rheinland zertifizieren lassen. Wir sind beim FC Internationale Berlin den Kölnern gefolgt und sind seit April 2021 der erste Amateurverein mit einem Nachhaltigkeitszertifikat. Auch der DFB macht sich auf den Weg, nicht zuletzt liegt ein Schwerpunkt der EURO2024 in Deutschland auf der Nachhaltigkeit. Die Hauptprotagonisten der EM Celia Sasic und Philipp Lahm haben das Thema im Fokus.


Mit etwas Verzögerung haben auch große Agenturen und Beratungsunternehmen die Nachhaltigkeit für sich entdeckt. Waren sie bisher vor allem an Profitmaximierung für ihre Kunden aus der Bundesliga (und für sich selbst) interessiert, springen sie nun auf den Zug auf und gründen eigene Units oder Subunternehmen. Wir spüren das beim FC Internationale nicht zuletzt dadurch, dass plötzlich ganz viele Werber und Vermarkter mit uns reden möchten. Es ist erstaunlich, wie viele natürlich total erfahrene Nachhaltigkeitsexperten in kürzester Zeit die Sportbühne betreten haben. Dabei ist das Thema zu ernst, um es nur als Geschäft zu begreifen.


Wir haben beim FC Internationale das große Glück, Fachleute im Verein zu haben. Sie haben das Thema studiert, sie arbeiten seit Jahren in der Zertifizierung, sie leben das im Alltag. Eine Arbeitsgruppe von rund zwanzig Menschen hat sich über Monate mit der Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Viele glauben, es gehe vor allem um Ökologie, also um weniger Plastikgeschirr, vegane Bratwurst oder insektengerechte Blumenbeete.


Dass es mit der Ökonomie und dem Sozialen zwei weitere Säulen gibt, wissen viele nicht. Dabei sind gerade diese für Fußballvereine hochinteressant. Dass es viele Vereine mit nachhaltigem Wirtschaften nicht so haben, wissen wir nicht erst seit den jüngsten Pleiten von Türkgücü, Uerdingen oder Berlin United. Immer noch platzen Bundesligaträume, weit bevor die Liga erreicht wurde – in der Regel an offensiver Misswirtschaft.


Beim Sozialen fällt dem Fußball die Diskussion leichter. Gemeinschaft, örtliche Kooperationen, Nachhilfe, Teilhabe und Inklusion gibt es nicht nur beim FC Internationale Berlin. Nicht zuletzt spielt das Ehrenamt eine überragende Rolle für nahezu alle Vereine. Und einer der vielen gescheiterten DFB-Präsidenten bezeichnete den Fußball gar als „letztes Lagerfeuer der Gesellschaft“.


Auch wenn der Vergleich allseits belächelt wird, weiß ich schon, was er meint. Der Fußball hat unglaubliche Einflussmöglichkeiten, nicht zuletzt für das soziale Gefüge der Republik. Hier kommen die verschiedensten Milieus zusammen, spielen Arm und Reich in einem Team, wird Vielfalt häufig wirklich als Normalität gelebt, ohne ständige Fragen „Woher kommst du?“. Womit ich nicht leugnen will, dass Diskriminierungen nach wie vor das größte Übel unseres Sports sind. In der Aufzählung fehlt noch die vierte Säule, die der Kommunikation und Vermittlung.


Leider sind die Rahmenbedingungen im Amateurfußball inzwischen vielerorts so schlecht, dass ein nachhaltiges Wirken erschwert wird. Die neue DFB-Spitze wird sich auch daran messen lassen müssen, ob sie es schafft, die stetig wachsenden Aufgaben fürs Ehrenamt und die immer maroder werdende Infrastruktur zu verbessern. Die Amateure sind längst nicht mehr bereit, sich Legionellen unter kalten Duschen in schimmeligen Waschräumen auszusetzen, während DFB und DFL die Anforderungen für die Profistadien immer höher schrauben und Paläste bauen lassen.


Nachhaltigkeit im Fußball heißt auch, die Menschen zu VEREINen, wegzukommen vom „Wir da oben. Ihr da unten!“ Soziale Nachhaltigkeit heißt, dass Kinder aus Zehlendorf und Neukölln gemeinsam zum Bundesligaspiel gehen können, Spielerinnen aus Blankenese und Billstedt beide das sportliche Feriencamp besuchen können. Das Erreichen von mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit sind zentrale Felder für einen Fußballverein.


Ein weiterer Punkt sind die Sportstätten und die Beschaffung. Auch hier kommt Fußballverbänden eine zentrale Rolle zu. Wer sich damit beschäftigt, was die Kunstrasen-Lobby den Kommunen unterjubeln kann, hat eine Vorstellung, dass Plastikgeschirr vielleicht nicht das größte Problem ist. Wenn immer dieselben Hersteller zum Zug kommen und die dann noch Sponsor des regionalen Verbands sind, kommt man ins Grübeln.


In Berlin haben engagierte Vereinsvertreter gegen Stimmen des Präsidiums die AG Zukunft durchgesetzt. Ein Thema: die Sportstätte von morgen. Sie sollte ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien entsprechen, also Solarkollektoren, LED-Flutlicht wie Bildungsräume und einen recycelten Kunstrasen zu fairem Preis haben. Geht nicht? Doch! Wenn Verein, Verband, Politik und Verwaltung an einem Strang ziehen und sich gemeinsam als Fortschrittsmotor betrachten.


Bleibt das große Feld des fairen Handels. Inzwischen gibt es gute Bälle aus Fairtrade-Produktion. Auch bei der Sportkleidung macht man Fortschritte. Wenn aber Fairtrade- und Recycling-Produkte der großen Sportartikelanbieter doppelt so teuer wie herkömmliche sind, wird sich die Nachhaltigkeit nur schwer durchsetzen. Ich prognostiziere, dass die großen Firmen sich umstellen werden müssen, je früher, desto besser für sie. Heute geht es schnell, dass ein Newcomer mit den richtigen Botschaften Marktanteile kapert, wie die Automobilindustrie beweist.


Auch hier kommt den Fußballverbänden eine tragende Rolle für den Wandel zu. So möchte ich dem DFB unbedingt raten, glaubhaft auf seine Sponsoren einzuwirken, kein Greenwashing zu betreiben, sondern sich wirklich nachhaltig für Umwelt, Menschenrechte und faire Löhne einzusetzen. So könnte eine echte Win-Win-Situation entstehen.


Es gäbe noch so vieles zum Thema zu sagen, nur noch so viel: Vereine, die sich für mehr Nachhaltigkeit interessieren, können uns gern kontaktieren. Wir geben gern kostenlose Hinweise. Wer viel Geld zahlen möchte, wendet sich an eine der Agenturen mit den vielen neuen Nachhaltigkeitsexperten. Ihr habt die Wahl, es ist ein freies Land. Compliance und Demokratieförderung gehören übrigens auch zu den Nachhaltigkeitszielen.