Warum denken wir nicht über eine Urwahl aller 24.500 Vereine nach?

Wem gehört der Fußball? Das fragte der DFB-Vize Rainer Koch am Samstag im Aktuellen Sportstudio Katrin Müller-Hohenstein, die eigentlich ihn interviewte. Ihre  Antwort „Der Fußball gehört den Fans“ legte ein Problem offen: Das ZDF blendet eine wichtige Gruppe weitgehend aus: die Amateurvereine und ihre Mitglieder.

Nun könnten wir es uns leicht machen und uns darauf einigen, dass fast alle Amateure auch Fans eines Proficlubs sind. Doch so war das sicher nicht gemeint. Damit würden wir auch selbst das Narrativ schüren, beim Fußball würde sich alles um den international inzwischen völlig überdrehten und national total langweiligen Fußball drehen. Das ist nicht der Fall. Nicht nur das Fehlen deutscher Teams in den Halbfinals der europäischen Wettbewerbe oder die neunte Meisterschaft der Bayern in Serie lassen viele stöhnen und gähnen. In den Wintermonaten konnte die DFL vielen noch verkaufen, dass sie für Abwechslung sorgt.

Für die beste Unterhaltung sorgte ohnehin der DFB, Dachverband der 21 Landesverbände und damit höchstes Vertretungsorgan der Amateure. Nur wurde dort zuletzt fast gar nicht über sie gesprochen. Zwar betete man den Satz „Fußball ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“ herunter, setzte ein paar verbandelte Ärzte als Virus-Experten in die Spur. Diese verbreiteten erwartbare Einschätzungen, garniert mit erwartbaren Ergebnissen aus Umfragen. Wirklich ernstgenommen wurde der DFB nicht. Im Gegensatz zur DFL, die in politische Kreise eindrang und mit einem bemerkenswerten Krisen- und PR-Management die Geldmaschine Profifußball am Leben hielt, es auch schaffte, diese als systemrelevant darzustellen. Nun, Politikerinnen sind eben auch Fans.

Nicht gelungen ist eine Kampagnenfähigkeit der Amateure. Deren erster Vertreter Koch beklagt das seit Monaten, muss sich aber natürlich auch fragen, warum das so ist. Er versuchte im ZDF-Interview zwar immer wieder, die Verhältnisse zwischen den einzigen Gruppen im DFB klarzustellen, doch so genau wollte die Reporterin das nicht wissen.

Dabei wäre es durchaus interessant gewesen, etwas über die Strategien zu den Verhandlungen über Gelder aus TV-Rechten zu erfahren. Sicher, die Fragen zu eigentümlichen Mails, diskreditierenden Äußerungen, intransparenten Beraterverträgen oder den Machtkämpfen waren bissig. Aber mal davon abgesehen, dass ein erfahrener Medienprofi wie Rainer Koch solche Anwürfe routiniert retourniert, habe selbst ich als absoluter Heavy User in Sachen DFB-Berichterstattung irgendwann den Überblick verloren. Den erlangte ich erst wieder, als Rainer Koch und sein Gegner je sechs Mal an der Torwand scheiterten.

Es wäre zu einfach, die schwache Position der Amateure alleine dem DFB anzulasten, womit ich zur Rolle der Medien komme. Man kann darüber streiten, ob Koch noch der richtige Mann ist, um die Belange der Amateure zu vertreten. Doch wer könnte es sonst? Und warum gibt es so wenige Alternativen? In den Medien gibt es seit Monaten, seit Jahren ein Bashing gegen die alten Männer im DFB, wobei auffällt, dass die DFL-Granden deutlich besser wegkommen. Doch der Kern des Problems wird ignoriert. Dazu bräuchte man allerdings auch Einblicke in die Landesverbände.

Kritik an einzelnen Funktionsträger wird nicht ausreichen. Ich glaube vielmehr, dass das ganze System auf den Kopf gestellt werden müsste. Die Hartplatzheldin Ute Groth, die Vorsitzende der TuSa Düsseldorf, hat vor zwei Jahren erlebt, dass sie trotz ihrer Ambitionen nicht einmal zur Wahl zugelassen wurde. Sie wurde kalt abserviert. Wenig später gab es eine Anhörung verschiedener Stakeholder, die im Auftrag des DFB von einer Personalagentur mit wahrscheinlich guten Stundensätzen durchgeführt wurde. Auch ich durfte meine Meinung abgeben, wer an der Spitze stehen solle. Am Ende entschied man sich für Fritz Keller und ein beschnittenes Amt des Präsidenten. Headhunter hatten ihn empfohlen. Spätestens nach Kellers berühmten Rote-Socken-Interview im Sportstudio im März 2020 wurden erste Zweifel laut, die sich im Laufe der Zeit erhärteten.

Was wäre die Alternative zu Keller? Sind die Lager überhaupt zu einen? Denn machen wir uns nichts vor: Nach der zweiten Corona-Saison in Folge geht es für alle mehr denn je ums Ganze – vor allem ums Geld. Die Zankereien zwischen DFB, DFL und Landesverbänden haben sicher nicht zurSolidarisierung im Fußball beigetragen. Seit Tagen bringen Medien oder interessierte Alt-Profis jede Menge Leute ins Spiel, die Vorsitzende und erste Verteidigerin Qatars Syliva Schenk von Transparency International Deutschland positionierte sich in der FAS gleich selbst. Meine Kollegin Ute Groth erzählte jüngst, wie sich die Medienanfragen bei ihr häufen. Natürlich begrüße ich es, wenn Ute als Vertreterin eines Amateurvereins zu Wort kommt, denn das kommt in vielen Medien nicht häufig vor.

Aber wollen wir wirklich auf die nächste Person warten, die als Heilsbringerin alles richten soll? Oder wollen wir uns nicht besser Gedanken über ein zeitgemäßes Fußballsystem machen? Warum denken wir nicht über eine Urwahl aller 24.500 Vereine nach? Jeder Verein hat eine Stimme, ob Bayern München, Schalke 04 oder der HSV genau wie Blau-Weiß Beelitz, Türk Gücü Hanau oder der TSV Apensen und kann aus mehreren Kandidatinnen wählen. Man nennt das Demokratie.

Warum versuchen wir nicht, einen Kongress zu organisieren, an dem alle teilnehmen können, die gestalten wollen? Nicht nur ausgewählte Vereinsvertreterinnen, die sich Vorträge von Funktionären anhören müssen, wie beim letzten DFB-Amateurkongress, dem ich beiwohnen durfte. Stattdessen eine Veranstaltung, auf der Transparenz geschaffen wird, Positionen ausgetauscht werden, voneinander gelernt werden kann? Auf dem versucht wird, eine Annäherung zwischen Profis und Kreisligisten herzustellen. Die Fußballfamilie hat doch im letzten Jahr gelernt, dass dies sogar digital stattfinden kann.

Wir könnten auf einer in Berliner Idee aufbauen. Dort wurde auf Initiative von Vereinen mit mehr als 90 Prozent Zustimmung eine AG Zukunft ins Leben gerufen. Die Ergebnisse liegen vor und sind teilweise innovativ und ambitioniert. Vor allem aber wurden sie in erster Linie von der Basis, also von Menschen aus den Vereinen, erarbeitet. Auch wenn es ein paar Startschwierigkeiten gab und nicht alles wie vorher gewünscht lief, der Austausch und die Diskussion um die Zukunft des Berliner Fußballs sind nicht aufzuhalten: Stärkung des Mädchen- und Frauenfußballs, zeitgemäße Sportanlagen, gesellschaftliches Engagement, Stärkung des Ehrenamts, Digitalisierung.

Ein Augenmerk galt auch den Strukturen. Nicht alle Arbeitsgruppen und Teilnehmenden waren immer einer Meinung, aber die Professionalisierung der Verbände, alternative Finanzmodelle oder gar Amtszeitbegrenzungen waren ebenso auf der Tagesordnung. Und passend zur Debatte beim und um den DFB lautet eine Handlungsempfehlung, eine "Respekt-Charta" einzuführen. Ebenso soll ein Verbandsleitbild erarbeitet werden und mindestens ein Drittel Frauen in den Gremien Platz bekommen. Was davon umgesetzt wird, obliegt dem im August stattfindenden Verbandstag und dem dann zu wählenden Präsidium.

Nun ist die Diskussion eines Landesverbands nicht gleich auf den DFB zu übertragen. Doch haben sich die Vereine in Berlin immerhin auf den Weg in die Zukunft gemacht und die Corona-Krise genutzt. Viele hatten durch das Verbot der sportlichen Betätigung mehr Zeit als sonst und zugegeben, um Positionen und Meinungen wird in Berlin auch abseits der AG Zukunft stets leidenschaftlich gerungen. Die Frage an alle Verbäne und Vereine ist nun: Wer ist bereit, vom anderen zu lernen?


Es geht nicht nur ums Geschlecht

In Berliner Fußball bahnt sich eine kleine Revolution an. Die ehemalige TV Sportmoderatorin Gaby Papenburg kandidiert für das Amt der Präsidentin. Sie wäre die erste Frau an der Spitze eines Landes- oder Bundesverbands. Im Jahr 2021! Unterstützt wird sie von einem Team aus verschiedenen Bereichen, auch ich gehöre dazu.

Der Grund für den angestrebten Wechsel ist nicht in erster Linie das Geschlecht. Vielmehr geht es um eine grundsätzliche Veränderung der Verbandskultur. Wobei man sagen muss, dass Männer in den meisten Verbänden nicht gerade beweisen, stärker oder kompetenter zu sein.

Wichtiger ist etwas anderes: Gaby Papenburg bringt Fähigkeiten mit, die kaum ein Verbandsfunktionär für sich reklamieren kann. Sie beherrscht Kommunikation und Moderation, sie setzt auf Partizipation, also die Beteiligung von Vereinen. Nicht erst die Corona-Krise zeigt, dass es auf Kenntnisse in genau diesen Bereichen ankommt. Die Außendarstellung vieler Fußballverbände, besonders die des DFB, ist verheerend. Skandale, Missgunst, Nebelkerzen und sogar gegenseitige Bespitzelung beherrschen die Schlagzeilen. Um Fußball geht es sowohl in Berlin als auch in Frankfurt nur noch am Rande. Nur zum Verständnis:
Kommunikation bedeutet nicht, von einer PR-Agentur einen Wikipedia Eintrag für 20.000 Euro platzieren zu lassen.

 

Die ehemalige Sportjournalistin möchte Präsidentin des Berliner Fußball-Verbandes werden.

Typisch Fußball! Schon in den ersten Tagen nach der Ankündigung ihrer Kandidatur muss sich Gaby Papenburg fragen lassen, ob sie etwas von Fußball verstehe. Wohlgemerkt, die Frage richtet sich an eine Journalistin, die über viele Jahre Profifußballer wie Lothar Matthäus, Rudi Völler, Mario Basler oder Trainer wie Franz Beckenbauer und Otto Rehhagel begleitete. Niemand würde das Steffen Simon oder Jörg Wontorra fragen, obwohl beide ebenfalls über keine Fußballkarriere verfügen.

Ein anderer Vorwurf lautet, sie habe nie einen Verein geleitet. Nun, Christian Seifert, einer der erfolgreichsten deutsche Sportmanager war zuvor bei Karstadt-Quelle. Und die beiden letzten Präsidenten des Landessportbundes Berlin kommen aus der Politik und haben ebenfalls nie einen Verein geleitet. Gestört hat das bisher niemanden. Warum auch? Schließlich geht es um die Kompetenz zur Führung. Hierfür braucht es gerade in einer Stadt wie Berlin heute mehr als ein bisschen Stallgeruch aus einem Reinickendorfer Verein, wie ihn der Amtsinhaber beim BFV mitbringt, der Polizist Bernd Schultz.

Unter ihm ist der Berliner Fußball-Verband in einer Dauerkrise. Mangelnder Ernst beim Kinderschutz, der Abgang von fünf Vizepräsidenten innerhalb eines Jahres, Durchsetzungsschwäche gegenüber DFB und dem Regionalverband NOFV sowie eine katastrophale sportliche Infrastruktur, weil der Einfluss auf Politik und Behörden fehlt – der Berliner Fußball sitzt in der Hauptstadt am Katzentisch. Vereine fühlen sich schlecht vertreten, zeigten im Gegensatz zur Verbandsspitze aber, dass sich mit Druck (Demo vor dem Rathaus) einiges durchsetzen lässt. Doch in sechzehn Jahren Schultz haben sich viele Dinge eingeschliffen, unbequeme Positionen sind auch künftig nicht zu erwarten.
Veränderung an der Verbandsspitze könnte also eine Riesenchance für die Berliner Fußballerinnen und Fußballer sein. Das Motto der Herausforderin lautet: „Gestalten statt verwalten.“ Vor allem möchte sie die Vereine auf dem Weg in die Zukunft mitnehmen, denn um die geht es schließlich.
Das geht leider oft vergessen.

Auch in Frankfurt dürften viele Menschen gespannt auf die Hauptstadt schauen. Nachdem engagierte Berliner Vereine auf Regionalkonferenzen mehr Mitspracherecht durchgesetzt hatten, startete auf ihre Initiative vor einigen Monaten auch die AG Zukunft, die sich unter anderem mit Compliance-Fragen befasst, also der Einhaltung von Regeln in Form von Recht und Gesetz . Auch wenn das vom letzten Verbandstag beauftragte BFV-Präsidium sich viel Zeit bis zum Start ließ, diskutieren fast 150 Menschen aus Vereinen, Verband, Wirtschaft und öffentlichem Leben in dreizehn Arbeitsgruppen über den künftigen Weg des Berliner Fußballs. Das Ziel ist – typisch Berlin – nicht gerade bescheiden. Man will perspektivisch der modernste Landesverband Deutschlands werden. Kardinalsantrag ist übrigens eine Amtszeitbegrenzung für Präsidentenposten, wie ich sie jüngst forderte.

Nicht nur dieser Antrag, sondern vor allem die Tatsache, dass mehr als eine Person für das Präsidentenamt antritt, macht einige langjährige Funktionäre quer durch die Republik nervös. Könnte in Berlin etwas losgetreten werden, das auch in anderen Ländern und beim DFB Schule macht? Unter den Landespräsidenten gibt es einige, die sich trotz desaströser Bilanz ein Leben ohne Amt kaum vorstellen wollen. Das Sprichwort „Neue Besen kehren gut“ hört man nicht gern, Erfahrung, etwa im Umgang mit Satzungen, trumpft alles in der Welt der Fußballkönige.

Gaby Papenburg kontert dies mit dem Satz: „Die Satzungen müssen sich nach den Vereinen richten, nicht umgekehrt.“ Das ist so wahr wie die bei erfolgreichen Unternehmen bekannte Erkenntnis, dass frische Leute an der Spitze für den Erfolg nötig sind.

Nicht weniger sollten die Delegierten der Vereine erwarten. In diesem Jahr wird der neue Bundestag gewählt, in Berlin zudem noch der Landtag und die Bezirksparlamente. Der Verbandstag des Berliner Fußball-Verbandes ist für den 26. Juni terminiert, die politischen Wahlen stehen drei Monate später an. Drei Monate, in denen ein neues Präsidium bei den Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien vorstellig werden kann, um die Forderungen des Fußballs – vor allem die der Amateure – darzulegen.

Eine neue Verbandsspitze böte die Chance, die eingetretenen Pfade zu verlassen und gegenüber der Politik selbstbewusster und kreativer aufzutreten. Der Raum und die finanziellen Ressourcen in einer Großstadt sind umkämpft, in der Pandemie umso mehr. Da braucht es unverbrauchte Menschen, die mit klarem Ziel und starker Hand für die Vereine und deren Sportlerinnen und Sportler kämpfen. Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Wir sollten sie nutzen. Vielleicht würde eine Präsidentin aus Berlin zudem frischen Wind in die Otto-Fleck-Schneise bringen. Nötig wäre es.


Ich wünsche mir einen Wissensspeicher über Amateurfußball

Weil ich selbst zum Amateurfußball forsche und mich für wissenschaftliche Ergebnisse zum Thema begeistere, bin ich bin gespannt, was der DFB mit seiner Akademie auf die Beine stellen wird. Auf ihrer Website stellt er Studien vor und macht sie in leicht verdaulicher Form einem breiten Publikum verständlich. Zum Beispiel die Studie „Keep Your Head Up – Correlation between Visual Exploration Frequency, Passing Percentage and Turnover Rate in Elite Football Midfielders“ aus dem Jahr 2019, die sich mit der Verbesserung der Orientierungsfähigkeit auf dem Fußballplatz auseinandersetzt.

Großer Aufwand für ein nützliches Angebot – wenn man Trainer einer Regionalliga-Mannschaft oder in einem Nachwuchsleistungszentrum ist. Der durchschnittliche Jugendtrainer dagegen würde sich zwar wünschen, seinen Jungs ein solches Wissen zu vermitteln, hat aber in der Realität des Amateurfußballs mit anderen Dingen zu tun: Nur selten kann er in voller Kaderstärke trainieren, oft muss er Unpünktlichkeit monieren, manchmal Dispute zwischen Spielern moderieren. Eine nicht optimal ausgeprägte Orientierungsfähigkeit ist eher ein geringes Problem.

Wie man richtig mit Jugendlichen kommuniziert, sie zu Verantwortungsgefühl erzieht, wie man ihnen Werte auf einen Weg mitgibt, der sie vermutlich nicht auf das Hochplateau des Profifußballs führen wird: das wäre praxisrelevantes Wissen für einen durchschnittlichen Fußballtrainer in Deutschland. Auch dazu gibt es Studien, wie zu anderen Themen des Amateurfußballs. Die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift Fußball und Gesellschaft hält einige dieser Studien bereit:

- Die Kriminologin Thaya Vester beschäftigt sich mit der Diskriminierung von Schiedsrichterinnen im Amateurfußball. Mehr als 2000 Unparteiische in Württemberg haben an ihrer Umfrage teilgenommen. Ein interessantes Ergebnis: Von den männlichen Schiedsrichtern gaben knapp zwei Drittel an, in ihrer Tätigkeit als Unparteiischer noch nie diskriminiert worden zu sein – von den weiblichen dagegen nur knapp die Hälfte. Nach wie vor pfeifen – auch das ist ein Ergebnis – nur sehr wenige Frauen Amateurfußballspiele, was an Diskriminierungserfahrungen liegen könnte.

- Zwei Soziologen setzen sich mit zwei Amateurfußballvereinen in Krisensituationen auseinander, einem deutschen und einem englischen. Bei ihrer Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass beide Vereine ihre Krisen bewältigt haben, indem sie die „Metamorphose hin zu einer unternehmerischen Ausrichtung“ durchlaufen haben.

- Die Sportwissenschaftlerin Cindy Adolph-Börs untersucht in ihrer Studie Vereinsfusionen im Amateurfußball und gibt am Ende Handlungsempfehlungen, wie diese am besten gelingen können. So empfiehlt sie zum Beispiel, dass die Vereine vorab eine Absichtserklärung unterzeichnen, „dass (mindestens) ein Vorstandsmitglied des vermeintlich unterlegenen Vereins im neuen Vorstand tätig sein wird“, oder dass die Beteiligten gemeinsam die Namensfindung durchführen.

Eine Webseite, auf der die Ergebnisse solcher Studien zusammengefasst werden, wäre ein tolles Angebot für die Amateure. Die DFB-Akademie, die sich schon vor ihrer Fertigstellung dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein Eliteprojekt zu sein, könnte auch zum Wissensspeicher für den Breitenfußball werden. Auf Anfrage ließ ein DFB-Sprecher allerdings wissen, dass ihm von einem solchen Vorhaben nichts bekannt sei.

Protokoll: Oliver Fritsch


Bälle gestapelt

Amateure, organisiert Euch!

Die Bundesliga tut nichts dafür, die Breitensportler an sich zu binden. Jüngstes Beispiel: Die Jugend Bundesliga könnte reformiert werden.
Künftig sollen demnach dort nur noch Teams aus den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) mitspielen. Für Hertha Zehlendorf, Tennis Borussia, TSV Niendorf oder Astoria Walldorf wäre dann kein Platz mehr. Dabei haben selbst Weltmeister wie Thomas Häßler und Jerome Boateng, auch Christian Ziege und Antonio Rüdiger dort ihre Wurzeln. Jonas Hector kickte noch bis zum 20. Geburtstag beim SC Auersmacher.

https://www.h03.de/aktuelles/news/news/offener-brief-an-den-dfb/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=a5b389f188dbf118984fedf13066d067

Doch die Profivereine wollen unter sich bleiben. Jugendspieler sollen noch früher in ein NLZ wechseln und sich dort einem zweifelhaften Wettbewerb stellen. Oder sogar Rassismus aussetzen, wie es zuletzt beim FC Bayern der Fall war. Vermutlich wird die Drop-Out-Quote im Fußball weiter steigen, Talente werden noch früher verloren gehen. Im Umgang mit uns Amateuren sind die Profis nicht zimperlich. Man darf davon ausgehen, dass die nächste Konfrontation vor der Tür steht. Es ist nicht zu erwarten, dass der kommende TV-Vertrag der Bundesliga solidarischer praktiziert wird. Anstoßzeiten der Bundesligisten finden ja längst parallel zu denen der Amateure statt, Rücksicht wird nicht genommen, es regiert das Recht des Stärkeren, des Unverfrorenen.

Noch funktioniert das Geschäftsmodell der Profis, noch spielen die Amateure mit. Aber es findet zunehmend eine Entfremdung statt. Klüger wäre es daher, wenn die Bundesligisten mit fairen Angeboten auf die Amateure zugehen. Wie wäre es, wenn es statt Ausgrenzung ein Miteinander geben würde? Nicht zuletzt im Sinne der Talententwicklung. Vielen Breitensportvereinen, wo auch die Begabtesten ihre ersten Erfahrungen machen, wächst die Jugendarbeit längst über den Kopf. Für die Jüngsten sind die Bedingungen in vielen Vereinen nicht adäquat, weil manchen Trainern die Qualität fehlt und die Clubs den wachsenden Anforderungen nicht mehr nachkommen.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Nachwuchsleistungszentren sich erst ab der C-Jugend in den Spielbetrieb einschalten würden und zuvor die ganze Breite der Region beobachten und unterstützen würden, statt den kleinen Vereinen schon achtjährige Talente wegzuschnappen? Jeder Amateurtrainer verliert irgendwann die Lust, wenn ihm jedes Jahr die Besten weggenommen werden und er dann auch noch beobachten muss, dass von diesen niemand Karriere macht.

Es ist eine alte Frage: Wer braucht wen mehr, die Profis die Amateure oder umgekehrt? Es würde mich überraschen, wenn die Proficlubs zur Einsicht kämen und auf die Amateure zugehen. Zuletzt stimmte die Bundesliga ein Klagelied an. Wahlweise wurden die Pandemie, die Bundesregierung oder die internationalen Verbände für die finanziellen Probleme verantwortlich gemacht. Der Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge rügte den DFB gar als geldgierig. Ausgerechnet der Chef von Deutschlands größter Fußball-Marketing-Maschine, der sein Team jedes Jahr im Unrechtsstaat Katar ein Trainingslager abhalten lässt. Und sein größter nationaler Konkurrent aus Dortmund, Hans-Joachim Watzke, stimmte ein. Der Bundesregierung und der den Fußball liebenden Kanzlerin, die den DFL-Profis in den letzten Monaten so weit entgegengekommen war, sagte er „populistisches Fußball Bashing“ nach. Die Vertreter der Profis fordern also Unterstützung, verschweigen aber, dass sie selbst mit abenteuerlichen Gehältern und Ablösesummen sowie Wetten auf 15-Jährige wesentlich zu ihrer schwierigen Situation beitrugen. Vermutlich werden sie auch weiterhin versuchen, ihre Geschäfte zu optimieren und auf dem Rücken von anderen möglichst viel Profit zu erzielen. Sie werden auch künftig Kinder sehr früh an sich zu binden.

Der DFB sollte die Amateure eigentlich anführen, denn diese haben gewiss nicht weniger Bedarf an Unterstützung als die 36 Proficlubs. Doch das tut er nicht. Zur DFL Task Force Profifußball wurde jedenfalls kein einziger Amateurvertreter entsandt. Dort tauchen zwar Politiker und Journalisten wie Lars Klingbeil, Cem Özdemir und Philipp Köster auf, um zusammen mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach dem Stein der Weisen zu suchen. Doch die Talententwickler und darüber hinaus die besten Kunden der Profis fragt man nicht. Wahrscheinlich gehen alle davon aus, dass die Amateurfußballer zu Weihnachten weiterhin den Fan-Shop besuchen und Dauerkarten kaufen.

Bisher haben die Amateurvereine es nicht geschafft, kampagnenfähig zu werden, obwohl inzwischen viele so unzufrieden sind, dass sie sich vom Profifußball abwenden. Irgendwann aber könnten sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und aufbegehren. Zum Beispiel gegen die immensen Kosten der Akademie, die der DFB zahlt, die aber nur von angehenden Profis genutzt werden wird. Sie könnten auf TV-Abos verzichten, zu Weihnachten anstelle des komplett überteuerten Trikots von Thomas Müller oder Marco Reus lieber drei ihres Heimatvereins kaufen. Vor allem aber sollten sie ihren Landesverbänden sowie ihrem Dachverband, dem DFB, klar zu verstehen geben, was sie sich wünschen: eine Interessensvertretung aller 25.000 Vereine.


Kein Fußball ohne Amateure

Wir sind denen egal

Ein Baum ohne gesunde Wurzeln wird bald sterben. Die DFL hat diese Weisheit offenbar vergessen. Vielleicht sieht sie die Wurzeln gar nicht.

Darauf lässt ihre jüngste Entscheidung schließen. Diese Woche hat sie eine „Taskforce Zukunft Profifußball“ berufen, denn der Profifußball ist in Gefahr: sinkende Einschaltquoten, sinkendes Interesse am Produkt Bundesliga. Eine auf unbegrenztes Wachstum programmierte Branche hat erkannt, dass öffentliches Interesse und Nachfrage keine Selbstverständlichkeiten sind.

Das 35-köpfige Gremium will sich unter anderem, wie es in der Ankündigung heißt, mit dem Thema „gesellschaftliche Verankerung des Profifußballs“ befassen. Ein berechtigter Ansatz, der aber beim Blick auf die Liste der Mitglieder einen Riss erleidet. Es sind Unternehmensberater, Funktionäre und Politiker zu finden, auch Fan-Vertreter und Journalisten.

Es fällt allerdings auf, dass kein Vertreter der DFB Nachwuchsmannschaften und der Nachwuchsleistungszentren berufen wurde. Auch einen Vertreter, der die Belange des Amateurfußballs einbringen könnte, sucht man vergebens. Dabei ist der der doch der Schlüssel zur gesellschaftlichen Verankerung. Mehr als 145.000 Mannschaften spielen in Deutschland aktiv Fußball unter dem Dach des DFB, gerade einmal 56 davon sind Profiteams.

Erstens sind die vielen Dorfvereine Zulieferer an Talenten, Deutschland ist auch dank seiner starken Basis vier Mal Weltmeister geworden. Zweitens spielen Hobbykicker und Nachwuchsfußballerinnen wirtschaftlich eine bedeutende Rolle für die Profis. Sie sind fast immer auch Fans, kaufen Tickets, Sky-Abos, Trikots von ihren Lieblingsvereinen. Die Zukunft des Profifußballs hängt direkt mit der Gegenwart des Amateurfußballs zusammen.

Und die Gegenwart des Amateurfußballs ist noch komplizierter als die des Profifußballs. Die Suche nach Ehrenamtlichen wird schwieriger, vielerorts sinken Mitgliederzahlen, in vielen Vereinen fehlt es an Infrastruktur.

Dass die DFL bei der Berufung der Mitglieder bewusst oder unbewusst auf die Mitarbeit des Amateurfußballs verzichtet, ist ein weiteres verheerendes Signal und macht deutlich, welche geringe Bedeutung ihm zugebilligt wird. Wieder eine vertane Chance für den Profifußball. Der Kontakt zwischen den Amateuren und den Profis scheint wohl endgültig gerissen zu sein. Wir sind denen egal.