In Zeiten des Erfolgs: Was der DFB jetzt tun muss

Hartplatzhelden-Kolumne #92: Auch wenn es gestern nicht zum Sieg gereicht hat: Die Nationalmannschaft macht wieder Spaß. Davon profitiert der DFB, wie unsere Studie zeigt, für die wir Fachleute wie Thomas Hitzlsperger, Deniz Aytekin oder Almuth Schult befragt haben. Wenn der DFB sich jetzt noch stärker um die Amateure kümmert, wird er weiter Vertrauen zurückgewinnen. Von TIM FROHWEIN

Länderspielpause. Für einen Menschen wie mich, der gerne die Bundesliga oder die Premier League verfolgt, eher ein Stimmungskiller. So war es viele Jahre. Doch dann kamen „Wusiala“, Julian Nagelsmann und die EM 2024 – und plötzlich freue ich mich auf Länderspiele, selbst wenn sie in so seltsamen Wettbewerben wie der „Nations League“ stattfinden. Traumfreistöße wie am Samstag von Flo Wirtz, Tempo-Tiki-Taka wie gestern beim aberkannten Tor von Julian Brandt – ich schaue dieser Mannschaft einfach wieder gerne zu. Vielen in meinem Umfeld geht es genauso.

Der Hype um die „Nagelsmänner“ färbt – ähnlich es wie damals im Jahr 2006 bei den „Klinsmännern“ war – auf den DFB ab. Das zeigt auch unsere Studie „Wir sind Fußball“. Zusammen mit Jana Wiske von der Hochschule Ansbach habe ich nach der Fußball-Europameisterschaft 100 Expertinnen und Experten – darunter Thomas Hitzlsperger, Deniz Aytekin oder Almuth Schult – befragt, wie sie das Image des DFB bewerten. Und siehe da: Im Vergleich zum Sommer 2023, in dem wir die gleichen Personen schon mal befragt hatten, hat sich das Image auf einer Skala von 1 (= sehr schlecht) bis 5 (= sehr gut) von 1,9 auf 2,5 verbessert.

Darüber hinaus steht der DFB für die Befragten im Vergleich zum Vorjahr jetzt viel stärker für Fannähe, Fair Play oder – trotz des zu frühen Ausscheidens bei der EM – für sportlichen Erfolg. Bei Themen wie „solides Wirtschaften“ oder „Transparenz“ liegt für die Studienteilnehmer allerdings nach wie vor einiges im Argen beim größten Sportfachverband der Welt.

– Foto: Hochschule Ansbach

Für die Zukunft wünschen sich unsere Befragten, dass der DFB den Nachwuchs besser fördert und die Interessen des Amateurfußballs stärker vertritt: 54 und 49 Prozent wählten diese beiden Themen in die Top3 der wichtigsten Zukunftsthemen. Die anderen Antwortmöglichkeiten, die zur Auswahl standen, wurden deutlich seltener geklickt.

Auf die Frage, worauf der DFB künftig mehr Fokus legen sollte, schneidet der Bereich „Amateurfußball“ mit einem Durchschnittswert von 4,2 ab – und landet damit auf dem ersten Platz, noch vor „Trainer*innen-Ausbildung“ und „Schiedsrichter*innen“.

Klar, unsere Umfrage ist nicht repräsentativ. Aber unter den 100 Befragten sind ausgewiesene Kennerinnen und Kenner des deutschen Fußballs, darunter Vertreterinnen und Vertreter aus dem Profilager, Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Medien oder Politik und Menschen, die ehrenamtlich Amateurvereinen vorstehen. Das ergibt ein gutes Gesamtbild.

Wie ein roter Faden zieht es sich durch die Ergebnisse, dass sich die Befragten eine Stärkung des Amateurfußballs wünschen (hier finden sich alle Ergebnisse im Überblick). Aus meiner Sicht bedeutet das: Hier muss der DFB noch mehr Energie reinstecken, um den Erwartungen in seinem Umfeld gerecht zu werden. Dann kann der Imagegewinn rund um die EM 2024 nachhaltig sein.

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Bild Nike Kolumne

Was man alles mit dem Geld von Nike machen könnte

Der DFB wechselt ab 2027 den Ausrüster. Dann wird Adidas durch Nike abgelöst. Angeblich fließen mehr als 100 Millionen Euro im Jahr in die Kassen des Verbands, also mehr als das Doppelte dessen, was Adidas angeboten hat. Geld, das der DFB benötigt, um Defizite auszugleichen. Gleichzeitig kündigt er an, dass er dem Breitensport mehr unterstützen wolle. Vier Hartplatzhelden haben sich Gedanken darüber gemacht, was mit dem Geld Sinnvolles passieren soll und wie wahrscheinlich es ist, dass es überhaupt an der Basis ankommt.

1. Für wie glaubhaft haltet ihr die Ankündigung des DFB, die Amateurvereine stärker zu fördern?

Tim Frohwein: „Ich bin mal so naiv und sehe in der Ankündigung des DFB ein Indiz dafür, dass unsere Studie („Wir sind Fußball“), die wir im Herbst 2023 beim DFB vorgestellt haben, Wirkung zeigt. Dort wurde von den befragten Stakeholdern angemahnt, dass man sich stärker um die Interessen des Amateurfußballs kümmern soll. Nicht nur deshalb, sondern auch, weil ich den Eindruck habe, dass sich der Verband wandelt, bin ich zuversichtlich, dass er den Worten Taten folgen lassen wird.“

Gerd Thomas: „Ich glaube, dem DFB ist bewusst, dass man von außen genau hinschaut, was er mit dem Geld macht und wo es hingeht. Daher glaube ich nicht, dass das einfach ins Blaue hinein behauptet wird.“

Michael Franke: „Sehr bedingt. In Anbetracht der enormen Geldnot halte ich es für sehr unglaubwürdig. Durch die Aushöhlung des Grundlagenvertrags entzieht der DFB den Amateuren seit Jahren Geld. Daher glaube ich nicht, dass er unsere Interessen sehr ernst nimmt.“

Susanne Amar: „Ich kenne die Strukturen des DFB nicht im Detail, sodass ich nicht sagen kann, wo das Geld verwaltet wird. Bisher ist er auch nicht durch Transparenz aufgefallen. Da er in extremer Geldnot steckt, stellt sich mir allerdings die Frage, ob wirklich der Breitensport als erstes profitiert. Gleichzeitig glaube ich sehr an Veränderungen und hoffe, dass etwas abgekommen wird. Dafür nötig ist ein Umdenken im Dachverband, dem Amateurfußball entsprechende Anerkennung und Wertschätzung zukommen zu lassen. Das kann nur gelingen, wenn Entscheidungen mit der Basis gemeinsam getroffen werden.“

2. Wofür soll das Geld eingesetzt werden? Was würde dem Amateurfußball am besten helfen?

Susanne Amar: „Ich wünsche zuallererst, dass sich der DFB über die Bedürfnisse des Amateurfußballs schlau macht und nicht auf der Basis von Annahmen entscheiden wird. Dann kann das Geld dort eingesetzt werden, wo es benötigt wird. Zum Beispiel für Maßnahmen, die die Vereine bei der Hilfe zu Selbsthilfe unterstützen. In meinen Veranstaltungen, die ich mit Gerd in unserem Projekt („Ehrenamt im Amateurfußball stärken“) organisiere, sehe ich, wie die Menschen im Breitensport auf dem Zahnfleisch gehen. Wenn wir wollen, dass sie weitermachen, brauchen sie finanzielle und strukturelle Unterstützung. Zum Beispiel könnten Vereine hauptamtliche Mitarbeiterinnen einstellen, die Bürokratie bewältigen, gute Arbeitsbedingungen für Trainerinnen schaffen, interne Fortbildungen anbieten, um Ehrenamtliche zu schulen, die Zusammenarbeit mit Eltern auf- und auszubauen, sich Support durch Externe finanzieren und vieles mehr.“

Gerd Thomas: „Eine erste Idee: Warum nicht das Ziel ausrufen, Trainer- und Schiri-Lehrgänge kostenlos anzubieten? Und generell würde ich jährlich 10 Prozent des Nike-Gelds nehmen, um eine Strukturreform einzusetzen und Innovationen dauerhaft abzusichern. Damit könnte der DFB beispielweise eine Kommission gründen, in der Vertreter von der Vereinsbasis sitzen. Er könnte ein Thinktank einrichten, wo Meinungsaustausch, Anregungen, Wissenstransfer und die nötigen Diskussionen über den modernen Fußball zusammenlaufen. Damit meine ich nicht die moderne Spielweise, eher: Wie müssen moderne Sportverbände aussehen und welche Aufgaben müssen sie erfüllen? Und Lobbyarbeit könnte er fördern. Der Amateurfußball muss endlich als Teil der Zivilgesellschaft platziert werden. Der DFB selbst kann keine modernen Sportanlagen für die Vereine bauen. Er kann aber dafür sorgen, dass die Länder oder Kommunen das tun und die Kraft des Fußballs für eine bessere Gesellschaft erkennen.“

Michael Franke: „Die Einbringung von mindestens 10 Prozent der Gesamteinnahmen, also mindestens 10 Millionen Euro in eine AG Zukunft finde ich einen sehr probaten Ansatz. Es geht zuerst um den Aufbau einer hörbaren Lobby für das größte soziale Projekt der Republik, nämlich den Amateurfußball. Der sollte einerseits mehr kommunale Mittel erhalten, andererseits aber auch seitens der Wirtschaft spürbar finanziell gefördert werden. Gerade die Wirtschaft hat großes Interesse an gut sozialisierten, motivierten, empathischen und entscheidungsfähigen MitarbeiterInnen. Das alles leistet der Amateurfußball.“

Tim Frohwein: „Ich wünsche mir, dass das Geld auch dafür eingesetzt wird, den Amateurfußball besser zu erforschen, also auf Basis wissenschaftlicher Studien weiterzuentwickeln. Ein Institut für Breitenfußballforschung – das wäre es! Das könnte am Campus in Frankfurt angegliedert werden. Dieses Institut forscht zum Amateurfußball und bietet Weiterbildungen an, darüber hinaus kommuniziert und transferiert es Wissen (An Hochschulen „Third Mission“ genannt). Das Institut könnte einen Wissensspeicher für den Amateurfußball aufbauen, der verständliche Zusammenfassungen und Kommentierungen von Studien, Expertisen oder Positionspapieren bereithält. Ich hatte das mal in einer Kolumne beschrieben.


Ich gratuliere dem DFB

Der Untergang des Fußball-Abendlandes scheint eingeleitet. Der DFB wechselt ab 2027 von Adidas zu Nike, von der deutschen Traditionsmarke nach Amerika. Fußballexperten quer durch alle Parteien empören sich über fehlenden Standortpatriotismus (Robert Habeck) über die Vernichtung der Heimat (Adidas-Role-Model Karl Lauterbach), bis hin zur Bezeichnung „amerikanische Fantasiemarke“ für einen Weltmarktführer (Boris Rhein).

Markus Söder aus dem Wahlkreis direkt neben Herzogenaurach schreibt: „Deutscher Fußball ist Heimat pur – und kein Spielball internationaler Konzernkämpfe.“ Ach, so! Und der FC Bayern ist ein Regionalverein ohne wirtschaftliche Interessen oder was? Die Rechtsextremisten von der AfD werden sicher die Bauern zum Mistabladen vor der DFB-Zentrale aufrufen.

Doch ich freue mich. Die Marke ist mir egal. Ob Adidas oder Nike – beide lassen in Südostasien produzieren, nehmen auf Menschenrechte und Nachhaltigkeit keine Rücksicht und machen hinter den Kulissen Sportpolitik. Aber bald ist viel mehr Geld da, mit dem man Gutes tun kann.

Worüber Söder und Habeck nicht reden: Es gab erstmals eine „diskriminierungsfreie Ausschreibung“ beim DFB, in die alle Anbieter eingeweiht waren. Marko Klevenhagen von der Zeitschrift Sponsors beschreibt der stets gut informierten Marina Schweizer im Deutschlandfunk die Mechanismen und gratuliert dem DFB zur Entscheidung. 

Ich schließe mich an. Denn was wäre passiert, wenn der DFB sich aus Gefühlsduselei für das nur halb so lukrative Angebot von Adidas entschieden hätte? So schon einmal vor vielen Jahren, als der Kaiser noch lebte. Der Verband blieb beim Partner aus Herzogenaurach, vielleicht weil die meisten Landesverbände bei Adidas unter Vertrag stehen, und verzichtete auf riesige Summen, die damit auch dem Amateurfußball vorenthalten wurden.

Für uns als Vertreter der Amateure wird es jetzt interessant, weil der DFB verlautbart, dass ein großer Teil der deutlich höheren Erlöse in den Amateurfußball fließen sollen. Dieses Versprechen muss der DFB halten – und er muss konkreter werden. Was genau stellen sich DFB und Nike vor, wenn sie mitteilen, den „deutschen Fußball bis 2034 in seiner Gänze fördern“ zu wollen? Wir Hartplatzhelden haben Ideen, was man mit dem vielen Geld machen könnte, und werden diese auch kundtun.

Als erstes wird der DFB das in den letzten Jahren angerichtete finanzielle Desaster in den Griff bekommen. Die überteuerte Akademie, die Nebenwirkungen um das Sommermärchen, inklusive drohendem Verlust der Gemeinnützigkeit, die Reisen und Spesen vieler Funktionäre. Müssen Vizepräsidenten des DFB wirklich mehr als 50.000 Euro pro Jahr für ein Ehrenamt beziehen? 

Angesichts dieser Finanzeskapaden wünsche ich mir mehr Aufsichtspflicht durch unsere Landesfürsten, die seit vielen Jahren in den Beiräten und im Präsidium des DFB sitzen. Entsendet von ihren Vereinen an der Basis, denn diese wählen sie. In manchen Ballungsräumen direkt, in flächenreichen Regionen über Bezirksdelegierte, die wiederum von den Vereinen beauftragt wurden.

Die Herren – es gibt keine gewählte Landesvorsitze – sind also höchst demokratisch in ihr Amt gekommen. Doch wer kontrolliert, was sie beim DFB veranstalten? Es gibt kaum Vorgaben durch die Vereine, nach der Wahl sind die Präsidenten frei in ihrem Handeln.

Mit diesem System ist der DFB zu einem Sanierungsfall geworden. Die Last tragen die Vereine an der Basis. Dort steigen die Gebühren: für Schiedsrichter, für das Pass- und Meldewesen, für Strafen, für fehlerhaftes Ausfüllen der Spielberichte. Manche halten das für Abzocke.

Wie man das Geld verteilt, darüber muss nun diskutiert werden. Direkte Förderungen an Vereine sind selten, das Geld geht in der Regel an die Landesverbände, die dann über die Verwendung entscheiden. Ich habe beim letzten Berliner Verbandstag an die Vereine appelliert, sich auf höhere Verbandsbeiträge einzurichten und ihrerseits die Mitgliedsbeiträge in den eigenen Vereinen anzuheben. Schließlich ist es der Verband der Vereine. Aber ich bin auch sehr für mehr Transparenz und Partizipation. Genau hier tun sich viele Landesverbände schwer, wohlwissend, dass sie von der Basis nicht viel Widerspruch und Fragen zu erwarten haben.

Nun wird der Nike-Deal viele Begehrlichkeiten wecken. Gut, dass die offenen Rechnungen des DFB nun leichter beglichen werden können. Eine Insolvenz kann keiner wollen. Aber bevor das weitere Geld mit offenen Armen aus dem Fenster geworfen wird, hätte ich einen Vorschlag: Warum nehmen wir nicht jedes Jahr zehn Prozent des Geldes von Nike und bringen eine Strukturreform des deutschen Fußballs auf den Weg?

Mehr Demokratie wagen, mehr Partizipation, mehr Innovation. Im politischen Kontext gibt es keine Fürstentümer mehr, also schaffen wir sie auch im Fußball ab. Es gibt viele gute und ernstzunehmende Beratungsunternehmen, die für eine Modernisierung zur Verfügung stünden. Es müssen ja nicht die üblichen Verdächtigen sein, die bereits gezeigt haben, dass sie es nicht können. 


Mehr Mitsprache für Amateure: »Wir sind 99 Prozent!«

Hartplatzhelden-Kolumne # 62: Alle fordern Vielfalt und Diversität im Fußball. Ich auch, aber ich denke vor allem an eine Minderheit, an die sonst keiner denkt: uns Amateure. Von GERD THOMAS

Mit großer Attitüde schwingen sich immer mehr Menschen auf, den Fußball in Deutschland zu retten. Ex-Funktionäre, Fanforscher, Investorinnen, Medienschaffende. Dem DFB werden jede Menge Tipps geschenkt: Zu wenig Haltung! Zu viel Politik! Zu wenig Konzentration auf den Sport! Zu viele Dilettanten! Zu wenige Frauen! Und vor allem: Zu viele alte weiße Männer!

Eine Bezeichnung, die auf Aki Watzke, Rudi Völler und Karl-Heinz Rummenigge zutrifft. Auf mich im Übrigen auch, aber ich habe nicht ansatzweise deren Bedeutung. In diesen Topf werden allerdings auch Menschen in den besten Jahren wie Oliver Kahn, Matthias Sammer, und sogar Oliver Mintzlaff geworfen werden.

Ein Mitglied der zweiten DFB-Taskforce heißt übrigens Philipp Lahm und ist 39. Viele Protagonistinnen der Diskussion wie Katja Kraus, Claudia Neumann, Gaby Papenburg sind ebenfalls längst dem Teenageralter entrückt, na und? Ok, Almut Schult und Tabea Kemme sind erst 32, aber mir ist das Alter ohnehin egal. Was mir nicht egal ist: Sie alle leisten mit der Kampagne „Fußball kann mehr“ einen Beitrag zur Stärkung der Frauen im Fußball. Andererseits, Gianni Infantino, der Mephistopheles (oder Fantomas) des Weltfußballs, wurde bereits mit 45 Fifa-Präsident. Ich kenne viele ältere Menschen, die geistig flexibel, immer offen für Neues sind, noch dazu den Vorteil jahrelanger Erfahrung mitbringen. Rege Köpfe wie die Hartplatzheldin Ute Groth oder Michael Franke sind leuchtende Beispiele, dass älter nicht verstaubt heißen muss – vom 84-jährigen Bundesverdienstkreuzträger Engelbert Kupka ganz zu schweigen.

Gleichwohl fällt auf, dass es um die Vielfalt im deutschen Fußball tatsächlich schlecht bestellt ist, aber anders als kolportiert. Menschen mit Zuwanderungshintergrund fehlen fast vollständig in den Gremien. Ebenso sind Aktive und Coaches aus dem Amateurbereich kaum Teil der Diskussion. Von Jugendlichen, Menschen mit Einschränkungen, auch aus ländlichen Gebieten, holen wir nur höchstselten Expertise ein. Aber sie alle sind die Basis. Sie sind 99 Prozent des Fußballs! Ohne sie ginge in der Bundesliga nichts, doch kaum jemand nimmt sich ihrer Sorgen an. Wir Hartplatzhelden bemühen uns darum. Allerdings ändert das wenig daran, dass die Diskussionen um den Fußball in der Regel elitär sind. Das spiegelt sich in den Medien wider. Und ob die teure DFB-Akademie etwas ändern wird, ist in Zweifel zu ziehen.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb unlängst über die schwindende Bereitschaft von Sponsoren, sich in der Breite zu engagieren. Dabei wäre es notwendig, auch kleine und mittlere Vereine zu unterstützen, etwa deren Jugendarbeit für Mädchen und Jungen. Gern werden hehre Ziele wie Teilhabe, die Stärkung von Körper und Geist, die Stabilität der Demokratie und neuerdings die Nachhaltigkeit in den Clubs beschworen. Jüngst durfte ich in einem Podcast über nachhaltige Jugendarbeit sprechen. Doch investiert wird vor allem in die Elite, inzwischen längst nicht mehr nur bei den Männern. Klar, gleiches Recht für alle, aber wie kriegen wir dieses Recht für die 99 Prozent an der Basis hin?

Es gibt jede Menge Experten-, Taktik- und Scouting-Plattformen, doch das ist es nicht, was den Coaches und Vorständen der Breitensportvereine fehlt. Es fehlt an praktischer Unterstützung für die Funktionsfähigkeit der Vereine. Davon gibt es wenig, eine Ausnahme stellt die nimmermüde Marthe Lorenz mit ihrer Organisation „Klubtalent“ dar. Immerhin stellt der DFB auf seinen digitalen Seiten eine Reihe von Best-Practice-Beispielen zur Verfügung, eine Forderung des letzten Amateurkongresses. Sonst hört man von den im Präsidium für Jugend und Amateure Zuständigen sehr wenig zur Zukunft des Breitenfußballs. Demnächst stehen zwischen Profis (DFL) und Amateuren (DFB) wieder Verhandlungen über die Verteilung der TV-Milliarden an. Aber welche Position vertreten die Verhandler für die Basis? Wie kommt ein Forderungskatalog zustande? Wer wird zu Rate gezogen?

Auch über die Trainer- und Schiedsrichterausbildung muss geredet werden, diese orientiert sich ebenso an der Elite. Wobei mit Manuel Gräfe der beste deutsche Schiedsrichter aus Altersgründen gezwungen wurde aufzuhören. Vielleicht war er einfach zu ehrlich. Wir müssen diskutieren, wie wir mit den Problemen im Ehrenamt umgehen, wie wir noch Menschen finden, die bereit sind, die Jugendleitung zu übernehmen. Hinzu kommen die durch Corona verschärften Probleme bei Kindern, die zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten und
Bewegungsprobleme. Ohne Computerspiele und Social Media verteufeln zu wollen, bringen diese doch Schwierigkeiten mit sich, wie viele Jugendcoaches und Lehrkräfte nicht erst seit den jüngsten Tik-Tok-Trends bestätigen.

In Berlin und anderen Ballungsräumen haben viele Vereine Aufnahmestopp, weil es nicht genügend Sportstätten gibt. Nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine stehen aber viele Menschen mit Fluchtgeschichte vor den Vereinstoren und möchten mitmachen. Fußball ist Integration, wie alle so gern behaupten. Wirf einen Ball in die Mitte, und der Weltfrieden bricht aus. So die Theorie. In der Praxis sind viele Vereine überfordert, fehlen vielen Ehrenamtlichen interkulturelle Kompetenzen, was nicht als Vorwurf zu verstehen ist.

Doch Jammern hilft nicht weiter. Stattdessen müssen wir einen Paradigmenwechsel „Pro Amateursport“ einleiten. Die Europameisterschaft 2024 könnte helfen, denn eben die Basis von Vereinen und Fans soll dafür sorgen, dass wir ein zweites Sommermärchen (hoffentlich ohne die finanziellen Begleitumstände) schaffen. Im „Berliner Netzwerk Fußball & Gesellschaft“ arbeiten wir sogar in einer Kombination aus klassischen Sportorganisationen wie dem FC Internationale oder dem Landessportbund und nicht vereinsgebundenen Organisationen wie buntkicktgut, common goal, Amandla Safe-Hub, Gesellschaftsspiele, Sport handelt fair oder Champions ohne Grenzen daran, die Europameisterschaft zu einem Fest für möglichst viele Gruppen in der Stadt werden zu lassen. Dazu ein anderes Mal mehr.

Der DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat angekündigt, einen Amateurkongress durchzuführen. Dieser muss so schnell wie möglich kommen. Ich empfehle die Beteiligung der Basis schon bei der Vorbereitung. Ein Ziel sollte sein, den Amateurfußball für Unternehmen und Menschen attraktiv zu machen, die in der Lage sind, diesen als Sponsoren zu unterstützen. Nicht, um auch in der Kreisliga überhöhte Gelder an die Spieler zu zahlen, sondern um die Strukturen der Vereine zu stärken. Von einem Amateurkongress muss ein Ruck ausgehen, der dem Fußball an der Basis einen echten Aufbruch beschert. Der Innovationen einleitet, Antworten auf die Herausforderungen bringt oder einleitet und einen Imagewechsel initiiert. Der den großen Wert des Amateurfußballs für die Gesellschaft verdeutlicht und klarmacht, dass unser Sport aus mehr als dem sichtbaren einen Prozent besteht. Die Euro 2024 steht im Zeichen der Nachhaltigkeit. Für mich sind dabei nicht zuletzt nachhaltige und belastbare Strukturen in den Clubs wichtig. Ohne die Vereine in der Breite ist der Fußball in Deutschland nichts. Ohne Basis kein Fußball, so einfach ist das. Rettet die Amateure. Wir sind 99 Prozent!

Foto von Feo con Ganas auf Unsplash


Wahl des DFB-Präsidenten: Wer hat inhaltlich etwas zu bieten?

Wir befinden uns im Jahr 2022 n. Chr. Deutschland hat sich auf Regeln des demokratischen Miteinanders wie Transparenz und Fairplay geeinigt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Funktionären besetztes Präsidium hört nicht auf, Widerstand zu leisten.

Die Rede ist vom DFB, der am 11. März seinen Präsidenten wählt. In dessen Gremien sitzen keine renitenten Gallier, die gegen Eindringlinge aufbegehren, sondern in Schlachten gestählte Funktionäre. Es gibt keine Fischhändler oder Barden, doch es finden sich Häuptlinge, listige Strategen, Männer fürs Grobe und manchmal hat man den Eindruck, es wird eine Zaubertrank-Zeremonie abgehalten.  

Beharrlich weigert sich die von den 21 Präsidenten der Landesverbände dominierte Gruppe, ihre Regeln denen der Republik anzupassen, zum Beispiel mit geheimen Wahlen, bei denen alle sieben Millionen Mitglieder des DFB eine Stimme haben, so wie es unsere Demokratie seit 1949 schätzen gelernt hat.

Doch es regt sich zunehmend Kritik am Verhalten der Funktionärsriege. Ein langjähriger Kenner des Verbands zitiert gern das Sprichwort: „Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe.“ Soll heißen: Strukturelle Veränderungen wären möglich (und nötig), sind aber nicht gewünscht.

Tatsächlich gibt es nun zwei Kandidaten, Bernd Neuendorf und Peter Peters, und zumindest eine Abstimmung, auch wenn die Spielregeln noch nicht ganz feststehen. Man muss sich das nicht vorstellen wie eine Wahl zum Bundestag oder wenigstens eines Vereinsvorstands, wo alle stimmberechtigten Mitglieder eine Stimme haben. Nur eine kleine, in vielen Landesverbänden völlig intransparente Gruppe, darf wählen. Nach welchen Kriterien die Stimme vergeben wird? In Berlin bekamen wir nicht einmal im Beirat (eine Art Aufsichtsrat des Verbandes) eine Antwort. Chefsache eben! Über das Procedere und die überholten Strukturen ist vielerorts geschrieben worden. Mich umtreibt viel mehr, warum es eigentlich nicht um Inhalte geht.

Denn der deutsche Fußball ist in einer tiefen Krise: Mitgliederschwund, Schiedsrichtermangel, Corona, Rückgang des Ehrenamts und marode Sportstätten. Viele Vorstände in den 24.500 Vereinen sind fassungslos, dass in diesen schwer zu bewältigenden Zeiten nun auch noch das Image des deutschen Fußballs ramponiert wird. Durch dubiose Geldzahlungen an vermeintliche Amateure, durch aus dem Ruder gelaufenen Gehälter, Handgelder und Ablösen bei den Profis, aber vor allem durch die fast schon unterirdische Außendarstellung des DFB und dessen ehrenamtliche  Präsidiumsmitglieder. Wobei ich mir überlege, auch für einen DFB-Vizeposten zu kandidieren. Denn mehr als 5.000 Euro monatlich für ein Ehrenamt wäre nicht übel, die fast 250.000 für die Vertretung bei der Uefa wären noch besser.

Warum ringen wir nicht um Konzepte gegen den Rückgang der Jugend, für die Gewinnung neuer Unparteiischer, für Rezepte zur Rekrutierung von Ehrenamtlichen? Warum fordert niemand beim DFB von der neuen Regierung mit Nachdruck eine Sportstätten-Offensive, unter aktiver Einbeziehung der Basis. Weit mehr als zehn Millionen Wahlberechtigte bringen die Fußballerinnen und Fußballer nebst ihrer Umfelder aus Familie und Freunden auf die Waage. Das kann sonst niemand von sich behaupten. Doch Fußball wird fast nur mit Profisport in Verbindung gebracht.

Auch in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung hört man wenig. Wie steht der Fußball zu Wutbürgern und Querdenkern? Wie soll sich ein Vereinsvorstand verhalten, wenn er selbst mit besten Argumenten gegen Impfverweigerer nicht weiterkommt? Wie soll er mit Corona-Leugnern umgehen? Wie begegnen wir den zunehmend verhaltensauffälligen Kindern, den größten Verlierern der Pandemie? Das ist jeden Tag Realität in den Vereinen. Der Öffentlichkeit versucht man, mit dubiosen Studien zu vermitteln, die Fußballherren da oben würden das schon machen. Wie immer in den letzten Jahren. Mit den bekannten Gesichtern, mit den bekannten bescheidenen Ergebnissen. Wann gibt es eigentlich eine Abstimmung über das Geleistete, wie es in der Politik üblich ist? Oder muss niemand Verantwortung übernehmen?

Die Süddeutsche Zeitung zitiert Meikel Schönweitz, den Cheftrainer aller U-Nationalteams: "Wir sehen, dass wir in einzelnen Jahrgängen nicht mehr zehn oder zwölf, sondern oft nur noch eine Handvoll Toptalente haben." Die Antwort der DFB-Spitze auf das Versagen der letzten Jahre ist eine Akademie, die den Eindruck eines fernen Raumschiffs vermittelt, in das ein Amateur nur zu Besuchszwecken (womöglich gegen Entgelt) seinen Fuß setzen wird.

Was passiert eigentlich, wenn das Zentralorgan in der Akademie den falschen Plan entwickelt? Wäre es nicht klüger, die erfahrenen Leute an der Basis zu fragen, welche Rezepte es geben könnte? Nicht nur Sportwissenschaftlerinnen, auch Trainer empfehlen, viele verschiedene Wege zu probieren. Viel wichtiger ist aber, wie wir die Bedingungen auf den Fußballplätzen der Amateure verbessern. Denn dort verlieren wir jedes Jahr Tausende von Talenten, weil die Bedingungen immer schlechter werden.

Der Vorstand eines gewissenhaften Vereins versucht verzweifelt, Rezepte für die Gewinnung von genügend Übungsleitern zu finden. Demografische Entwicklungen und ein immer mehr nach Fachkräften lechzender Arbeitsmarkt machen die Bemühungen aber schwierig. Derweil umtreibt viele Vorstände etwas anderes, nämlich die Haftung für dieses und jenes: Die Aufsicht für die Kinder, die Einhaltung der Coronaregeln oder die Verantwortung für Bauten und Personal. Neuendorf und Peters sind sich immerhin einig, dass das Image des Verbandes so katastrophal ist, dass sich vieles ändern muss. Papier, auf dem die Interviews erscheinen, ist bekanntlich geduldig.

Ich würde die Person wählen, die mir glaubhaft versichert, es mit dem Neuanfang ernst zu nehmen. Der eine wähnt die Landesfürsten hinter sich, der andere die Profivertreter. Doch wer hat inhaltlich wirklich etwas zu bieten? An der Basis hat sich Fatalismus breit gemacht. Die meisten sind so abgegessen, dass sie sich kaum noch für das Kasperltheater an der Spitze interessieren, zumal kaum jemand versteht, was da eigentlich vor sich geht.

Die Probleme werden sich aber nicht in Luft auflösen. Viele Vereine finden schon jetzt keine Vorsitzenden, keine Schatzmeister, keine Jugendleitungen mehr. Ich selbst habe am DFB-Masterplan mitgearbeitet. Viele Probleme sind identifiziert worden. Doch konkrete Lösungsansätze sehe ich wenige. Ein Weiter so wird vielen Vereinen den Garaus bescheren. Ich würde nicht darauf wetten, dass die Funktionäre in DFB und Landesverbänden das wirklich interessiert. In der Regel gibt es zum Tod eines Clubs oder einer Jugendabteilung ein müdes Schulterzucken, in Berlin finden viele im Präsidium ohnehin, es gebe zu viele Vereine. Dabei gibt es in diesen Vereinen Ideen zu Partizipation oder Transparenz, aber auch zu neuen Konzepten. Doch sollen die Vereinsvertreter überhaupt noch Fragen stellen oder gar Kritik äußern? Von den beiden Kandidaten hat man dazu bisher nichts gehört.