Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB
2021 hat begonnen, doch irgendwie ist 2020 noch nicht zu Ende. Ein paar Zitate und Schlagzeilen aus den letzten Tagen des Jahres klingen in mir nach:
- Sportschau, 4. Dezember: Studie Universitätsklinikum Münster: dramatischer Bewegungseinbruch bei Kindern und Jugendlichen
- Rheinische Post, 12. Dezember: Wen Corona einsam macht – je härter der Lockdown desto klarer eine Erkenntnis: Die Pandemie steigert das Gefühl, sozial isoliert zu leben. Überraschenderweise empfinden das vor allem junge Leute.
- Rheinische Post, 14. Dezember: Sport spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Er vermittelt Kindern und Erwachsenen ein Gemeinschaftsgefühl, Fairness und Teamgeist. Sportvereine wirken integrativ, motivieren und geben nicht zuletzt in Krisen Halt.
- Düsseldorfer Anzeiger, 16. Dezember: In der Pandemie zeigt sich verstärkt, dass besonders Kinder unter den aktuellen Einschränkungen leiden: Fernunterricht, Isolation, Kontaktbeschränkungen, häusliche Quarantäne, die Sportanlagen sind zu und die Spielplätze mit Flatterband abgesperrt. Dies führt zu Konfliktsituationen zu Hause.
- Süddeutsche Zeitung, 18. Dezember: DFB-Vizepräsident Peters attackiert Curtius
- Süddeutsche Zeitung, 19. Dezember: DFB – Vernehmung in Frankfurt
- Süddeutsche Zeitung, 21. Dezember: DFB – die verschwundene Selbstanzeige
- Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember: 1.FC Nürnberg – versöhnt mit dem Seuchenjahr
Ich bin nicht versöhnt mit dem Seuchenjahr. Mir fehlt die Perspektive für die Zukunft, auch wenn es für unseren Verein strategisch, inhaltlich, finanziell sogar ein erfolgreiches Jahr gewesen ist. Der neue Kunstrasenplatz in der Kooperation mit dem Nachbarverein ist aufs Gleis gesetzt. Die Fußballer, als Hauptnutzer, haben für die 1. Frauenmannschaft das Ziel Regionalliga ausgegeben. Mit neuem Trainer und einem großzügigen Sponsor ist das ein Plan, der realisierbar ist. Die 1. Herren stellt sich unter Einbeziehung großer Teile der erfolgreichen A-Jugend neu auf. Das erste Mal seit Jahrzehnten, dass Trainer den Mut haben, der Jugend mehr zu vertrauen als geholten erfahrenen Fußballreisenden. Ziel: Festigung in der Kreisliga diese Saison, Aufstieg in die Bezirksliga in der nächsten. Es gibt viele andere Beispiele aus unseren anderen Sportabteilungen, die zeigen, dass Verein kein veraltetes Modell sind und neue Ideen Menschen ansprechen, die dann Mitglied werden.
Finanziell kommen wir gut über die Runden, auch dank Fördermitteln. Zuschauereinnahmen fehlen zwar, doch für uns sind Mitgliedsbeträge wichtiger. In der Landesliga mag das anders sein. Ein weiteres Fundament unserer Arbeit sind die Sportangebote für Kinder und Jugendliche. Laut Vereinssatzung fördert der Verein die sportliche Jugend- und Seniorenbetreuung, die Jugend- und Altenhilfe und die Erziehung. Das betrifft bei uns gut 1000 Mitglieder.
Doch was mir wirklich Sorgen macht: Wie geht es weiter in 2021?
Der Fußballkreis Düsseldorf schreibt in seinem Newsletter Dezember: „Zum heutigen Zeitpunkt wäre es unseriös, eine Prognose für den weiteren Verlauf der Saison abzugeben.“ Das ist richtig, verkürzt aber die Sichtweise auf den Sportbetrieb Mannschaftstraining und Ligabetrieb.
Was wir brauchen, ist die Möglichkeit, wie bereits am Ende des ersten Lockdown im Frühjahr 2020, die Sportanlagen zu öffnen. Das Ziel war und ist, den Mitgliedern für individuelle Sportausübung Platz zu geben. Das hat im Mai funktioniert und auch in den ersten Novembermonaten. Mitglieder haben im Familienverband ein Stück Sportanlage gebucht, womit die Nachverfolgung im Infektionsfall möglich war. So konnten sie der räumlichen Enge der Wohnung entfliehen, an der frischen Luft Sport treiben, sich auspowern und Spaß haben. Manchmal konnten sie mit Abstand Vereinskameraden zuwinken. Dann fühlt man sich nicht alleine. Ein Ausgleich für alle in schwierigen Zeiten.
Was ich vermisse, ist das vernehmbare, sichtbare, lesbare Einmischen des DFB. Mein Kollege Gerd aus Berlin sagt, der DFB sei nur der Dachverband, die Landesverbände hingegen seien für uns zuständig. Das mag formal richtig sein. Doch wie in der Politik gilt im Fußball: Ein klarer Standpunkt von oberster Stelle gäbe uns Orientierung und wäre eine klare Hilfe für die Basis. Dann wäre es leichter, das Jahr 2020 bald auch gedanklich zu beenden.
Neue Köpfe braucht der Fußball
Der Profifußball steckt in Problemen, Corona lässt Geldquellen zumindest vorübergehend versiegen. Zwar mahnten zu Beginn der Pandemie viele mehr Solidarität an, doch bereits Wochen später gab es Ärger um die Verteilung der TV-Erlöse. Und nachdem der zum G15-Gipfel einladende Karl-Heinz Rummenigge einige von ihm nicht eingeladene Vereine öffentlich abgewatscht hatte, ist klar: Wer den beiden Großen nicht folgt, bekommt eins drauf. Wie konnten es Vereine wagen, sich eigene Gedanken zu machen? „Es ist natürlich schwer für Karl-Heinz zu akzeptieren“, sagte daraufhin Ewald Lienen, „dass wir uns in einer Demokratie befinden“.
Wie sieht es auf Seiten der Amateure mit dem Wir-Gefühl aus? Auch hier kam mit Corona kurz Hoffnung auf, man würde zusammenrücken. Spätestens mit der Diskussion um die Wertung der Saison war es aber vorbei mit der gemeinsamen Linie. Nur Bayern ging als Landesverband voran und warb für die Unterbrechung mit späterer Fortsetzung. Zitat BFV Chef Rainer Koch: „Wir wollen uns nicht diese und dazu noch die nächste Saison zerschießen, falls das Virus zurückkehrt.“
Wollten zunächst viele Landesverbände dem bayerischen Weg folgen, stand der Freistaat am Ende alleine da. Heute sind viele Funktionäre leise geworden, vielen wäre wohler, hätte man auch Kochs Weg beschritten. Nun heißt es hoffen, dass bis zur Mitte des Jahres wenigstens die Hinrunde durchzukriegen ist.
Warum haben sich die Amateure in Probleme gebracht? Zunächst wollten viele im Mai nicht wahrhaben, dass Corona uns noch lange begleiten wird. Eine durchaus verzeihliche Fehleinschätzung. Doch schnell stellte sich heraus, dass auch monetäre Gründe bei einer Reihe von einflussreichen Vereinen im Vordergrund gestanden hatten. Sie hatten vor Corona viel Geld für Legionäre ausgegeben. Vor allem aber waren, anders als in Bayern, die Funktionäre der Landesverbände nicht in der Lage, die
Solidarität umzusetzen.
Zaudernd und stümpernd wurden die damals noch ungewohnten Videokonferenzen durchgeführt. Es gab wenig Steuerung, wenig Kommunikation, wenig Haltung. Statt einen Standpunkt zu vertreten und die Diskussionen zu moderieren, überließen die Landesfürsten die Entscheidungen den Vereinen, was unter diesen zu Friktionen führte.
Da die Verbandsführer niemandem wehtun wollten, vereinbarte man vielerorts: nur Aufsteiger, keine Absteiger. Das führt nun zu zu großen Staffeln von teilweise 22 Mannschaften, damit wäre eine normale Saison schon ohne den neuerlichen Lockdown im November kaum durchzubringen.Wenn am Ende nur eine Hinrunde gespielt werden kann, sollte man sich schon jetzt auf Klagen von Vereinen einstellen, die absteigen oder knapp nicht aufsteigen.
Starke Funktionäre wären womöglich in der Lage, den Prozess zu steuern, doch vielen fehlt es an dieser Eignung. Eine Erkenntnis, die bei einem von mir besuchten DFB-Workshop viele Vereinsvertreterinnen aus verschiedenen Bundesländern teilten.
Schon beim Kasseler Amateurkongress im Februar 2019 zeigte sich, dass Kommunikation und Partizipation nicht die Stärke von Verbänden sind. Die Gesandten der Amateurvereine mussten stundenlange Fachvorträge und sogar drei Podiumsdiskussionen mit dem damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel über sich ergehen lassen. Viele gingen ernüchtert nach Hause, hatten sie doch gedacht, ihre Ideen wären gefragt.
Auch im Landesverband Berlin zeigte sich dieses Jahr, welch große Probleme ein Präsidium mit Kooperation und Demokratie hat. So waren beim Arbeitsverbandstag im November 2019 zwei Projekte mit überragender Mehrheit von über 90 Prozent beschlossen worden: die AG Zukunft und die Einführung von vier Regionalkonferenzen mit Sprecherräten und Beiratsdelegierten. Beide Beschlüsse wurden lange nicht umgesetzt, die Einrichtung der beiden Institutionen verschleppt und behindert. Schließlich war der Berliner Fußball-Verband kaum handlungsfähig, da die Neukonzeption des wichtigen Beirats mit den Vertretungen der Regionalkonferenzen zwar beschlossen war, vom Präsidium aber nicht umgesetzt wurde. Die AG Zukunft, inzwischen in Future BFV umbenannt, hatte ihre Auftaktveranstaltung erst Anfang August, also neun Monate, nachdem sie auf den Weg gebracht worden war.
Durch Personalquerelen, einen Kinderschutzskandal und jede Menge Tricksereien verstrich weitere Zeit. Es machte den Eindruck, als gäbe es in großen Teilen des Präsidiums keinen Reformwillen. Nun, die AG Zukunft tagt inzwischen in dreizehn Arbeitsgruppen und mit rund 150 Interessierten. Die Initiatoren haben also einen Nerv bei Berlins Fußballerinnen und Fußballern getroffen.
Man muss die Ergebnisse abwarten, aber schon jetzt zeichnet sich zumindest in einigen der Zukunftswerkstätten ab, dass große Würfe gelingen können. Was sich sowohl in der AG Zukunft als auch in früheren Umfragen abzeichnet, ist der Wunsch der Vereine und Aktiven nach Veränderung in ihren Verbänden. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht torpediert werden. Für die Amateure ist dieses Thema essentiell, es geht auch um viel Geld. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Sportredaktionen mehr über diesen Reformbedarf berichteten.
Und die Amateure sollten mehr zusammenstehen. Unter dem Machtkampf an der DFB-Spitze leiden vor allem sie. Die Profis stimmen ihr Klagelied an und erläutern der Welt, warum sie nichts abgeben können. Man darf getrost davon ausgehen, dass sie längst Pläne aushecken, wie ihre Vereine von Einnahmen der Länderspiele profitieren können. Auf eine Reduzierung der abenteuerlichen Gehälter im Profifußball kommen sie nicht.
Doch wie schaffen es die Amateure ihrerseits kampagnenfähig zu werden? Slogans wie „Das Ehrenamt ist unbezahlbar“, der aktuelle des DFB, werden nicht reichen, um Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zu vermitteln, was der Amateurfußball für die Gesellschaft leistet. Die gesellschaftliche Verantwortung muss viel stärker sichtbar gemacht werden, der stupide Begriff des „letzten Lagerfeuers der Gesellschaft“ wird dem nicht gerecht. Ob der Autor dieses Zitats – der DFB-Präsident Fritz Keller – die Amateure wirklich im Blick hatte, als er vom DFB als „seriöser Anwalt, Dienstleister und Lobbyist“ sprach, muss bezweifelt werden. Außer seinem irritierenden Auftritt im Sportstudio, dem Schlingerkurs in Sachen Bundestrainer und Ränkespielen mit dem CEO des Verbands ist von ihm nicht viel in Erinnerung. Wobei sich das Gefühl nicht abschütteln lässt, er würde dem Profifußball – aus dem er ja entsandt wurde – näher stehen als den 25.000 Amateurclubs. Da kann der Trainer seines Heimatclubs noch so kluge Dinge über den Zusammenhalt der Gesellschaft sagen.
Ob nun auf Bundes- oder auf Landesebene: Funktionäre, die nicht bereit oder in der Lage sind, mit ihren Vereinen und Mitgliedern ehrlich zu kommunizieren, sind nicht das, was der Amateurfußball benötigt. Daher sollten sie das Feld räumen. Tun sie das nicht freiwillig, ist es an den Vereinen, sich nach Alternativen umzusehen. Die Zeit, in denen Präsidiumsmitglieder ihren Posten aus Gewohnheit behalten, muss aufhören.
Wenn sich die Amateursportlerinnen in den Rathäusern, den Medien und gegenüber der DFL offensiv positionieren wollen, braucht es Menschen an ihrer Spitze, die modernen Kommunikationsformen gegenüber offen sind und keine Angst vor dem Diskurs haben. Das ist übrigens keine Frage des Alters. Es gibt ältere Menschen, die sehr kommunikationsstark sind, es gibt auch junge, die zu selbstbewusst auftreten.
Wohl aber ist es eine Frage der Leidenschaft und der eigenen Ansprüche. Diese sollten nicht zu niedrig sein, schließlich fungieren die Verbände als Lobbyisten von Millionen Vereinsmitgliedern. Man kann
von Interessenvertretern anderer Gruppen wie der Telekommunikation, der Chemischen Industrie oder der Digital- und Energiewirtschaft lernen.
Würde der Sport in den politischen Schaltzentralen nur halb so ernstgenommen, könnte er Berge versetzen. Um das zu erreichen, braucht es starke Persönlichkeiten, neue Köpfe. Die Amateure sollten sich künftig mehr Mühe geben, diese zu finden. Sonst werden sie in der Bedeutungslosigkeit enden.
Willkommen in der Sportstadt München, willkommen in Schilda!
Der Breitensport und gerade der Amateurfußball kämpfen schon immer mit einer großen Zahl struktureller Probleme. Ehrenamtler wie Trainerinnen, Betreuer, Platzwarte, Funktionärinnen sind ebenso ein knappes Gut wie funktionierende Flutlichter, ordentliche Spielfelder, saubere Duschen und Kabinen. Oft sind die Vereine nicht unschuldig an der Misere. Aber es gibt auch die Fälle, in denen durchaus auch die Gleichgültigkeit der Kommune, oder gar Vorsatz am Missstand unterstellt werden kann.
Ein besonderer Fall dieser Sorte ist das maschinelle Schneeräumverbot für alle städtischen Sportanlagen in München. Was bedeutet das? Kunstrasenplätze dürfen auf den städtischen Sportanlagen ausschließlich mit der Hand geräumt werden. In manchen Gegenden Deutschlands mag man Schnee kaum noch kennen, in Bayern ist das anders.
Wer schon einmal einen Platz vom Schnee ohne Maschine geräumt hat, weiß, dass dies kein Vergnügen ist. Vor allen in schneereicheren Wintern bedeutet das schlichtweg die Nichtnutzbarkeit großer Sportflächen. Die Absurdität daran: Es gibt absolut keinen Sachgrund für diese Regel. Das Schneeräumen von Kunstrasen mit Fräsen oder Räumschildern gehört in alpinen Gefilden zum Tagesgeschäft. Kunstrasenhersteller wie Polytan bestätigen die Problemlosigkeit der maschinellen Räumung ebenso wie die vielen Vereine, die dies praktizieren. Auch in München auf nicht-städtischen Anlagen. Willkommen in Schilda.
Vor rund zwei Jahren beantwortete die damalige Leiterin des zuständigen städtischen Referats für Bildung und Sport, Beatrix Zurek, eine entsprechende Anfrage mit der Anmerkung, dass die Stadt München die Lösung des Problems nicht dem Klimawandel überlassen möchte. Das klang, als hätte die Kommune das Problem erkannt und würde es angehen. Passiert ist seitdem – NICHTS. Dieser Umstand kann mittlerweile nur mehr der absoluten Gleichgültigkeit der verantwortlichen Akteure zugeschrieben werden.
Wir bei der FT Gern haben es ja gut, uns betrifft das alles nicht. Doch unser Nachbarverein beispielsweise, dessen Platz keinen Kilometer entfernt liegt, darf beim Räumen keine Maschinen einsetzen. Die Verantwortlichen und die Spieler dort haben mein Mitleid und ich möchte mich mit dieser Kolumne für sie einsetzen. Aber auch für die anderen, denn mehr als die Hälfte der Münchner Vereine spielt auf einem städtischen Sportplatz mit maschinellem Räumverbot. Und letztlich leiden alle unter der Situation, spätestens im Spielbetrieb.
Was wäre die Folge, wenn die Kommune die maschinelle Schneeräumung zulassen würde? Quasi durchgängige Nutzbarkeit der Flächen. Es wären zum Großteil keine Hallenzeiten für den Fußball mehr nötig, da Planungssicherheit auf der Freifläche bestünde. Damit einher ginge eine faktische Zunahme des möglichen Sportangebots in der dunklen Jahreszeit. Man könnte einfach weiter draußen Fußball spielen. Mehr Win-Win geht nicht. Dennoch geschieht – NICHTS.
Ich bezeichne dies als ein Fanal für das, was in den Köpfen unserer Gesellschaft vorgeht. Die Diskrepanz zwischen der ausgesprochenen Wertschätzung und der gelebten Geringschätzung findet im Maschinenverbot eindrucksvoll Ausdruck. Es ist noch ein sehr weiter Weg für das größte Sozialprojekt unseres Landes: den Breitensport.
Protokoll: Oliver Fritsch
Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!
Wir haben diese Woche beim Training diesen Satz gehört: “Warum haben wir uns alle so angestrengt, wenn das eh nichts nützt?” Die Kinder verstehen nicht, warum sie mindestens einen Monat lang nicht Fußball spielen dürfen, wie es die neueste Verordnung der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten will, obwohl sie sie sich die letzten Monate an die Regeln gehalten haben. Die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen sinkt bei den Kindern und Jugendlichen extrem. Wir haben alle erlebt, wie viele nach dem ersten Lockdown das Training wieder geschätzt haben. Ihnen das nun wieder wegzunehmen, gäbe ihnen das Gefühl, dass alle Anstrengungen, die wir gemeinsam mit ihnen unternommen haben, nichts gebracht haben. Das Virus ist vielleicht noch lange da und die Kinder sollen lernen, mit ihm zu leben.
Wir Trainer und Vereine teilen die Maßnahmen der Politik nicht. Der Amateurfußball muss selbstverständlich seinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten, doch jede Einschränkung muss gut begründet sein. Das Infektionsrisiko beim Fußball, ob Training oder Spiel, ist aber nach allem was Virologinnen, Experten und Gesundheitsämter sagen, sehr gering. Im Freien ist das Infektionsrisiko, im Gegensatz zur Halle, nun mal niedrig, dank geringer Erregerkonzentrationen und einer schnellen Aerosolverdünnung. Zudem sind enge Kontakte selten und zumeist von sehr kurzer Dauer. Bei Fahrten zu Auswärtsspielen sollte man vorsichtig sein, doch uns ist kein Fall bekannt, in dem die Ansteckung auf dem Fußballplatz stattgefunden hat.
Das Fußballverbot und das Sportverbot an der frischen Luft sind also auch für Erwachsene zweifelhaft, doch die können das wegstecken. Vor allem können jedoch die Folgen für Kinder und Jugendliche fatal sein, insbesondere wenn der Lockdown länger anhält oder wiederholt oder durch die Winterpause auf ein Vierteljahr gestreckt wird. Wir wissen nicht, ob es bei einem Monat bleiben wird.
Viele Kinder werden unausgeglichen und mit zu viel Gewicht zum Fußball zurückkehren. Womöglich kehren einige gar nicht wieder. Die kalte Jahreszeit und die trüben Aussichten könnten Eltern veranlassen, ihre Kinder aus dem Verein abzumelden. Wenn sie dann nicht wieder mit dem Sport anfangen, werden wir Defizite im Sozialverhalten erleben, Freundschaften gehen verloren, und natürlich zieht eine lange Pause gesundheitliche und motorische Einschränkungen nach sich. Schon der erste Lockdown im Frühjahr führte zur Entfremdung vom Fußball und zur Lustlosigkeit.
Angela Merkel gibt zu verstehen, dass von Kitas und Schulen kein erhöhtes Risiko ausgeht und sie deshalb offen bleiben. Dann muss dies auch für sportliche Betätigung der gleichen Gruppen an der frischen Luft gelten. Aus unserer Sicht sollte daher der komplette Jugendbetrieb bis einschließlich U19 ganz normal weiter laufen – gerne ohne Zuschauer und Eltern am Spielfeldrand, das ist ohnehin manchmal besser. Mecklenburg-Vorpommern hat ja den Trainingsbetrieb bis 18 Jahre erlaubt, Berlin bis 12.
Auch in den anderen Ländern sollte es wieder erlaubt sein, wenigstens in Kleingruppen Outdoor-Sport zu treiben, wie es mancherorts im Mai praktiziert wurde. Umkleidekabinen bleiben dagegen geschlossen, und nach dem Training oder dem Spiel müssen alle das Gelände sofort verlassen.
Die bisherigen Hygieneregeln waren gut. Es gab natürlich auch im Amateurfußball schwarze Schafe, die auf sie pfiffen. Man sollte sie mit Punktabzug bestrafen. Doch bei Kindern ist das anders. Erstens fällt weg, was bei den Erwachsenen schon zu Infektionen geführt hat: das Biertrinken in der Kabine, das gesellige Drumherum. Zweitens haben sich gerade Kinder sehr gut an die Vorschriften gehalten.
Wir haben die große Sorge, dass manche Kids im dunklen Winter großen Schaden nehmen. „Am ersten Trainingstag nach dem Stillstand blickte ich in blasse, von dicken Augenrändern gezeichnete Gesichter von 10- und 11 Jährigen”, schrieb Younis nach dem Neustart im Sommer. „Die hatten wohl zwei Monate keine Sonne gesehen.”
Wir wissen noch immer nicht, was zwei Monate Smartphone-Nutzung von acht bis zwölf Stunden pro Tag mit jungen Menschen machen. Und wir möchten es nie erfahren. Wir wollen es auch nicht wissen. Daher fordern wir, die Kolumnisten der HARTPLATZHELDEN, die Politik auf, das Fußballverbot für Kinder und Jugendliche so schnell wie möglich aufzuheben.
Wäre schön, wenn die Politik begreift
Welches Verständnis vom Lieblingssport der Nation haben CDU und AfD? Die CDU beantragte jüngst im Berliner Sportausschuss eine Debatte zum Thema Gewalt im Jugend- und Amateurfußball. Die AfD forderte allen Ernstes sogar: „Schutz der Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer im Berliner Amateurfußball stärken – Transparenz der Täterstrukturen sicherstellen.“ Die Flügelspieler auf Rechtsaußen wünschen sich eine „Täteranalyse“, die sämtliche Parameter wie Alter, Geschlecht, Vorstrafen, Nationalität, Migrationshintergrund enthält.
Man darf davon ausgehen, dass die Herren über die Glanztaten von Mesut Özil und Jérome Boateng im WM-Finale nicht gejubelt haben. Sie tun es sicher auch nicht, wenn die Berliner Jungs Antonio Rüdiger und Jordan Torunarigha eine Chance des Gegners vereiteln. Dass Ressentiments den Anträgen zugrunde liegen, ist die eine Sache. Dass diese Anträge zu einer Zeit verhandelt werden sollen, in der vielen Vereinen das Wasser bis zum Hals steht, macht fassungslos. Statt uns zu helfen, machen uns die Parteien mit solchen von Law-and-Order-Denken geprägten Debattenbeiträgen das Leben schwer.
Ich bin seit vielen Jahren im Fußball aktiv, als Jugendleiter, Vorstand und als Mitglied im Jugendbeirat, als Trainer und Spieler. Soziale Themen sind mir vertraut. Viele unserer Aktiven sowie Trainerinnen und Trainer haben eine Migrationsgeschichte, ihre Vorfahren stammen aus Tunesien, Kroatien, Irak, Iran, England, Südkorea, Palästina, Israel, der Türkei, Chile, Japan, Kanada, Ägypten, Schweden oder Österreich. Für uns sind das einfach alles Berlinerinnen und Berliner, die meisten sind hier geboren.
Natürlich gibt es im Fußball Probleme. Diese werden ausführlich diskutiert, ich selbst habe mich oft für mehr Fairplay in der Jugend eingesetzt. Der Berliner Fußball duckt sich nicht weg, wie uns AfD und CDU offenbar unterstellen. Wir beim FC Internationale wenden uns seit drei Jahrzehnten offensiv gegen Rassismus und bekennen uns zu Fairplay und respektvollem Umgang. Gerade weil wir multiethnisch aufgestellt sind, klappt das hervorragend.
Künftig richtet der Verband sogar eine hauptamtliche Stelle zur Unterstützung der Schiedsrichter ein. Den Streik der Berliner Schiris im vorigen Oktober haben viele Vereine natürlich unterstützt. Wer der hier Lesenden hat noch nicht über sie geschimpft? Im übrigen legt eine aktuelle Studie nahe, dass Schiedsrichter mit einer Migrationsgeschichte öfter das Ziel von verbalen oder körperlichen Attacken sind. Die Warheit ist komplizierter als die AfD uns glauben lassen will.
Erschwerend für uns kommt hinzu, dass Journalisten meist nur die unschönen Einzelfälle aufgreifen. Sonst findet der Amateurfußball in der Berichterstattung kaum statt. Obwohl wir die größte Sportgruppe in der Stadt bilden, sind die Zahnschmerzen des Hertha-Platzwarts wichtiger. So denken Menschen ohne näheren Bezug zum Amateurfußball (etwa Abgeordnete), dass dieser ein Hort von Gewalt sei. Der Fußball ist aber vor allem ein Ort der Gemeinschaft und Nachbarschaft. Wenn er das bleiben soll, brauchen die Vereine mehr Unterstützung.
Wie auf dem Schulhof, in der U-Bahn, im Park oder im Straßenverkehr, der wahren Heimat von Beschimpfungen und Drohungen, ist jeder Vorfall auf dem Platz einer zu viel. Gewalt im Fußball äußert sich in der Regel seltener in Schlägen oder Tritten, sondern vielmehr als psychische Gewalt. Beleidigungen und Provokationen bis hin zu Rassismus sind die Regel. Mit zunehmender Sorge beobachte ich auch antisemitische Tendenzen, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit und abwertendes Verhalten gegen Frauen – das alles erleben wir in der Stadt wie im Fußball. „Spiel nicht so einen schwulen Pass.“ „Bist du behindert?“ oder „Du spielst ja wie ein Mädchen!“ Sowas hört man oft.
Hier hilft am ehesten Erziehung. Wir an der Basis brauchen daher mehr Hilfe für die Arbeit mit jungen Menschen, finanzielle Mittel für Prävention, für Demokratieförderung, für ein faires Zusammenleben auf dem Platz, für Integration und Chancengleichheit. Nicht immer können alle Jugendlichen mit dem Frust einer Niederlage umgehen. Und schon gar nicht stehen Kinder aus einkommensschwachen Haushalten auf Augenhöhe mit ihren Mitspielern, das geht schon bei der Marke der Fußballschuhe los.
Das System Amateurfußball kippt allerdings gerade, mit der Folge, dass immer weniger Leute bereit sind, einen Erziehungsauftrag ehrenamtlich wahrzunehmen. Und das, obwohl immer mehr Geld und Zeit in der Bevölkerung vorhanden ist. Dieses wird aber lieber für Reisen oder Autos ausgegeben, Sport soll möglichst wenig kosten. Der Sportverein wird von Wissenschaftlern als die „Schule der Demokratie“ beschrieben. Würden morgen alle Trainerinnen und Trainer ihre Arbeit niederlegen, hätten die Jugendämter und Polizeireviere deutlich mehr zu tun als ohnehin schon.
Ja, es gibt auch im Fußball Gewalt, wie überall in der Gesellschaft. Ihr müssen wir entgegentreten. Doch nicht mit Listen und Ausgrenzung, sondern mit guten integrativen und bildungspolitischen Konzepten sowie Präventionsmaßnahmen. Auch durch bessere Sportanlagen oder durch Entlastung von Hauptamtlichen, wie die HARTPLATZHELDEN-Kolumnistin Ute Groth es beschrieben hat.
Aber auch durch eine vehemente Unterstützung der Jugendarbeit durch DFB und Landesverbände. Diese könnten ihren Einfluss gern deutlich lauter äußern, das anstehende Wahljahr bietet sich förmlich an, der Politik mehr Mittel für eine sinnvolle Jugendförderung abzuringen, wobei sinnvoll nicht in erster Linie "im Sinne der Talentförderung Nachwuchsleistungszentren" bedeutet. Dann könnte der Fußball noch mehr Input für das Gelingen unserer Gesellschaft leisten als ohnehin schon. Wäre schön, wenn die Politik das begreift.
Protokoll: Oliver Fritsch






