Nachwuchsfußball: Das große Aussortieren der NLZs
Hartplatzhelden-Kolumne #47: Die Nachwuchsleistungszentren bilden, pädagogisch wertvoll, die Fußballstars von morgen aus, heißt es beim DFB. Eine neue Studie zeigt: Die Realität ist erschreckend anders. Von MICHAEL FRANKE
Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sind eine Säule der Jugendausbildung im DFB. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 50, in denen die regionalen Spitzentalente aller Jahrgänge weiterentwickelt werden sollen, mancherorts schon ab der U8. Vereine der 1. und 2. Bundesliga sind verpflichtet, ein NLZ zu betreiben. Einige Dritt- und Oberligisten betreiben aber auch solche Einrichtungen, um Talente bestmöglich zu entwickeln.
Die NLZ betonen vor allem immer folgendes:
- die frühe Entdeckung von Spitzentalenten
- die langfristige Entwicklung der Spieler im NLZ
- den Vorrang der schulischen vor der sportlichen Ausbildung
- das Ziel, Eigengewächse für die eigenen Herrenteams auszubilden.
Die Nachwuchsleistungszentren, heißt es, bilden mit Fachkenntnis und pädagogisch wertvoll die Fußballstars von morgen aus. Das klingt super. Eine Metastudie von Professor Arne Güllich (TU Kaiserslautern), die dem Verfasser vorab vorliegt, kommt aber zu einem ganz anderen Ergebnis. Darin wertet Güllich Daten aus den deutschen NLZ sowie über 30 internationalen „Youth Soccer Academies“ aus.
Die Ergebnisse zeigen im Gegensatz zur Theorie folgende NLZ-Realität: Es gibt eine hohe Frequenz des Spieleraustauschs in allen Altersklassen, durchschnittlich 29 Prozent der Spieler eines Jahrgangs). Und Profis, die erfolgreich wurde, waren erst in späterem Alter in die Leistungszentren gekommen als weniger erfolgreiche. Eine frühere Förderung hängt also mit geringerem Erfolg im Erwachsenenalter zusammen. Anstatt Kinder langfristig zu entwickeln, werden diese bei Nichtgenügen ausgetauscht.
Güllich kommt noch zu anderen bedenklichen Ergebnisse: Der kurzfristige Teamerfolg steht über der langfristigen Entwicklung einzelner Spieler. Der Anteil neu verpflichteter auswärtiger Spieler steigt stetig. Und Fußball hat Vorrang vor schulischer Bildung.
Diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu und waren regelmäßig Teil der Kritik an der Arbeit der NLZ. Nun sind diese bisherigen Vermutungen aber erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, und zwar in erstaunlichem hohen Ausmaß. Daraus resultieren große Zweifel an der Arbeit in den NLZ.
Die hohe Frequenz des Spieleraustauschs etwa stellt das System des Scoutings von Kindern in Frage. Die Daten zeigen deutlich, dass die Talentsichtung in den Altersstufen U8 bis U14 nicht sinnvoll ist. Eine zuverlässige Entwicklungsprognose ist bei Kindern unter 14 Jahren nicht möglich.
So finden sich beispielsweise nach acht Jahren nur mehr 9 Prozent der ursprünglichen U11-Spieler im NLZ in der U19. Der Rest wird zwischen der U11 und der U19 aussortiert. Am Ende verbleibt weniger als 1 Prozent der U11-Spieler, das den Übergang in ein Herrenteam schafft. Ein U15-Spieler, der in ein NLZ wechselt, hat immerhin eine Chance von etwa 10 Prozent, im NLZ den Übergang ins Erwachsenenalter zu schaffen.
Im Wissen, dass darüber hinaus rund 50 Prozent der aus dem NLZ entlassenen Spieler medizinisch belegbare psychische Folgeschäden erleiden, erscheint die Vorgehensweise der regelmäßigen Selektion der NLZ kaum noch zu verantworten.
Auch spannend: Ein Großteil der Herrenspieler internationaler Klasse hat als Jugendlicher weniger Zeit für die Hauptsportart Fußball aufgewandt und sich einer Zweitsportart zugewandt. Das bedeutet, die sportliche Entwicklung setzte bei diesen Spielern später, dafür aber nachhaltiger ein. Die hohe Intensität der Hauptsportart im Kindesalter führt also zu einer beschleunigten sportlichen Entwicklung der Kinder, ist aber für die spätere Leistungsentwicklung im Erwachsenenalter eher schädlich.
Die leistungsstärksten erwachsenen Spieler hatten als Kinder eine moderate Trainingsintensität, praktizierten verschiedene Sportarten, spielten länger in ihrem Heimatverein und blieben von den negativen Einflüssen einer frühen Intensivförderung im NLZ verschont. Sie minimierten ihre persönlichen Einschränkungen als Kinder und Jugendliche, während sie ihr langfristiges Entwicklungspotential steigerten.
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Mehr Demokratie im Fußball wagen
Neues Jahr, neues Glück? Für den Amateurfußball muss hier wie üblich ein Fragezeichen gesetzt werden. Immerhin, die DFL stellt sich neu auf: Donata Hopfen ist die neue Chefin. Endlich, wie von vielen gefordert, eine Frau an der Spitze des mächtigsten Players auf dem Fußballmarkt, aber wie sieht eigentlich ihre Agenda aus? Manche meinen, aufgrund ihres bisherigen Arbeitgebers, des Axel-Springer-Verlags (Bild, Welt, Sportbild, transfermarkt.de, internationale Beteiligungen), steht sie für noch mehr Eventisierung, noch mehr Kommerzialisierung.
Aber vielleicht lässt sie einfach alles hinter sich und überrascht mit einer modernen Agenda, auf der die gesellschaftliche Verantwortung des privilegierten Profifußballs weit oben steht. Noch besser wäre es, wenn sie zusammen mit der neuen DFB-Spitze die Gräben zuschütten würde, die von den bisherigen Protagonisten aufgerissen und von Jahr zu Jahr tiefer gezogen wurden. Wird sie klug genug sein, um die Solidargemeinschaft zwischen Spitzen- und Breitensport zu erkennen?
Gleiches muss man von der neuen DFB-Spitze fordern, die am 11. März gewählt wird – auch wenn nicht erst seit dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 8. Januar Zweifel aufkommen. Dort ist von Plänen zu Satzungsänderungen die Rede, die heimlich getroffen worden sein sollen. Die zwei bekannten Kandidaten stehen nicht für Neuanfang. Peter Peters ist selbst bei seinem Verein, dem FC Schalke, in Ungnade gefallen. Bernd Neuendorf ist als Präsident des Landesverbands Mittelrhein Teil des Systems.
Gleichwohl ließ er im Kicker-Interview verlauten, dass Reformbedarf bestehe. Als ehemaliger Politiker (Staatssekretär, SPD-Sprecher) wird er sich von seinen Plänen nicht so schnell abbringen lassen. Aber er wird vielleicht merken, wie lang beim DFB die Schatten der Vergangenheit sind. Dass die jetzige Nomenklatura noch mal kurz vor Toreschluss die längst nicht mehr zeitgemäßen Strukturen versucht, zu ihren Gunsten zurückzudrehen, macht wenig Hoffnung. Noch mehr Top-Down, noch weniger Transparenz und Partizipation – damit kommt man selbst in konservativen Unternehmen heute nicht mehr weit.
Aber darum scheint es auch gar nicht zu gehen. Selbst wenn Neuendorf eine starke eigene Agenda mitbringt, vorher sichern die Landesfürsten noch einmal die Pfründe, indem bisherige Institutionen geschliffen oder in ihrem Sinne besetzt werden. Compliance-Regeln? Bei der Ausschaltung von missliebigen Personen stand die christliche Nächstenliebe noch nie im Zentrum der Überlegungen.
Peters und Neuendorf wären gut beraten, sich von den im jüngsten SZ-Artikel beschriebenen Satzungsänderungen zu distanzieren. Denn es geht um die Glaubwürdigkeit des größten Sportfachverbands der Welt. Das DFB-Präsidium und die 21 Landespräsidenten (Frauen sind nicht dabei) vertreten fast 25.000 Vereine mit mehr als 140.000 Mannschaften, davon 99 Prozent im Amateur- oder Breitensport angesiedelt.
Hört man sich um, ist an der Basis das Image des DFB unterhalb der katholischen Kirche angesiedelt. Das muss man mit dem Lieblingssport der Deutschen erst einmal hinkriegen. In den Vereinen hat fast niemand den Eindruck, der Verband würde deren Interessen vertreten. Das mag nicht immer gerecht sein, aber es ist nun mal die Außenwirkung. Und die ist fatal, zumal sie Auswirkungen auf das Ansehen des gesamten Fußballs hat, für die 25.000 Vereine in der Breite eine Katastrophe.
Denn der Amateursport hat ohnehin riesige Herausforderungen zu bewältigen. Mein HARTPLATZHELDEN-Kollege Michi Franke gab dazu jüngst ein bemerkenswertes Interview in der FAZ, auch zur Rolle des DFB. Das Ehrenamt steht vielerorts auf der Kippe, Mädchen- und Jungenbereich sind rückläufig, die Pandemie setzt den Vereinen zu, andere Sportarten kommen auf, Sportstätten sind oft kaum mit diesem Namen zu bezeichnen. Da ist es auch kein Trost, dass viele Schulen baulich in keinem besseren Zustand sind.
Egal, welcher Kandidat am Ende das Rennen macht – die neue DFB-Spitze würde gut daran tun, endlich die Basis einzubeziehen. Dass ich eine Urwahl aller in den Landesverbänden gelisteten Mitglieder bin, habe ich mehrfach erwähnt. Es fehlen weitere Impulse. Wir brauchen im DFB Menschen, die sich auf dem Fußballplatz in der Kreis- oder Landesliga, im Kinder- und Jugendbereich auskennen, die seit Jahren die Nöte erleben und nicht nur vom Erzählen davon wissen. Unbedingt sollten zudem partizipative und transparente Prozesse angestoßen werden. Sich hier auf die sich vor allem dem Spitzensport verschreibende teure Akademie um den Profi-Vertreter Oliver Bierhoff zu verlassen, wäre grob fahrlässig und würde noch mehr Leute vom Fußball wegtreiben.Würde es einen echten Wahlkampf um den Präsidentenstuhl geben, müssten die Kandidaten sich anstrengen, dem Wahlvolk zu erklären, warum sie gewählt werden sollten. Das Ständesystem des DFB sieht ein anderes Modell vor. Die Landesfürsten um den mächtigen Rainer Koch entscheiden – ihre Geschlossenheit vorausgesetzt – über den neuen Menschen an der Spitze. Dass sie selbst in ihren Verbänden kein Interesse an zu viel Demokratie haben, mussten mehrere Engagierte schmerzhaft erfahren.
Warum also sollte ausgerechnet von diesen Wahlberechtigten ein Aufbruch ausgehen? Wir werden genau beobachten, was in den nächsten Monaten vor sich gehen wird und uns weiter einmischen. Im Sinne der Mitglieder unserer Vereine, aber auch im Sinne von „Mehr Demokratie wagen“. So wie es ein Altkanzler und Parteigenosse von Neuendorf und Koch einst forderte.
Amateurvereine und AfD – das passt nicht
Grundsätzlich sind Sportvereine über ihre Satzung parteipolitisch neutral angelegt. Idealerweise sollte jeder Verein ein Abbild der Gesellschaft sein. Einer Gesellschaft, die sich in unserem Land, das sich längst zu einem Einwanderungsland entwickelt hat, entsprechend darstellt. Gerade in Ballungsräumen ist die Gesellschaft multikulturell ausgeprägt. So haben 43 Prozent der Einwohner und Einwohnerinnen Münchens internationale Wurzeln. Sie kommen aus 190 Nationen.
Dieses Modell funktioniert so gut, dass der Zustrom in die Ballungsräume sowohl aus dem Aus- als auch dem Inland ungebrochen ist. Die Sportvereine profitieren in der Regel davon, sie leben Gemeinschaft, Solidarität und Zusammenhalt vor, über die Grenzen der Nationalität, der Religion und persönlicher Merkmale hinaus.
Unsere Werte gehen mit fast allen Parteien konform. Am vorigen Wochenende hat sich aber nun die AfD endgültig demaskiert und ein Programm verabschiedet, das vor Ausgrenzung strotzt. Grenzbefestigungen, EU-Austritt, Islamophobie, Homophobie und deutsche Leitkultur – Maßnahmen, die allesamt im krassen Widerspruch zu dem stehen, was unsere Sportvereine verkörpern. Die AfD ist nicht mit den Werten, der Kultur, der Seele des Breitensports vereinbar.
Spätestens mit diesem Parteitag hat sich die AfD aus dem Spektrum der demokratisch-freiheitlichen Parteien verabschiedet. Damit hat sie den Schutz der politischen Neutralität von Vereinen verloren.
Was bereits vor Jahren bei Eintracht Frankfurt mit dem Präsidenten Peter Fischer oder beim SC Freiburg begann, muss jetzt auch in den Amateurvereinen thematisiert werden. Fremdenfeindlichkeit, Hass gegen Randgruppen, Spaltung der Gesellschaft – die Positionen der AfD laufen im höchsten Maß den Grundsätzen des Sports entgegen. Ihre Ziele zielen mittlerweile offen gegen unser demokratisches Wertesystem.
Dieser deutliche Impuls muss von den Amateurvereinen nun aufgenommen werden, sie müssen sich gegen diese Partei stellen. Wir müssen für unsere Gesellschaft und unseren Sport kämpfen. Offen und gemeinsam gegen die Hetze der AfD!
Der Fußball vergisst seine Kinder
Wer ist wichtig im Fußballverein? Die Diskussionen über die Corona-Saison drehten sich vorrangig um die so genannten Aushängeschilder, die 1. Herren. Obwohl in vielen Vereinen die Frauen- oder Jugendteams höher spielen, beschäftigten sich die Vereinsvertreter (Vertreterinnen gibt es kaum) vorwiegend mit den Männern. In Berlin gab es nach dem Sommer eine Trainingssondergenehmigung für die Regionalligisten (4. Liga), die kurzerhand zu Profis erklärt wurden. Für die Regionalliga-Frauen (3. Liga) und die Jugend-Regionalligisten (2.Liga) gab es die nicht. Der Grund: weil zu den Herren angeblich mehr Zuschauer kommen. Mal davon abgesehen, dass bis Ende August gar keine zugelassen sind, zog selbst das Berliner Derby zwischen Viktoria 89 und BAK 07 in der letzten Saison gerade 300 Leute an, inklusive der in der Regel großzügig verteilten Freikarten. Ehrlicher wäre wohl, die Bedeutung der Männerteams am Etat und nicht am Publikumszuspruch festzumachen. Der insolvente Drittligaabsteiger Chemnitzer FC soll mit mehr als zwei Millionen Euro Verbindlichkeiten in die neue Saison gehen, wie immer das funktionieren soll.
Auch in der Verbands- oder Landesliga gibt es stattliche Etats, wenn auch nicht im siebenstelligen Bereich. Der Fan-Zuspruch hält sich dennoch in Grenzen, manchmal wird nicht einmal Eintritt kassiert, weil sich der Aufwand nicht lohnt. Nun kann in einem freien Land jeder Millionär, der Zutritt in einen Vereinsvorstand erhält, sein Geld in den Amateurfußball investieren und sein Ego befriedigen. Ärgerlich wird es, wenn bei der ganzen Begeisterung für den Amateurfußball die Jugendarbeit vergessen wird. Das ist leider in vielen Vereinen zunehmend der Fall.
Ich werde häufig gefragt, wie man es schafft, rund dreißig Jugendteams zu organisieren und daraus im besten Fall Nachwuchs für die Männer oder Frauen zu gewinnen. Ich antworte meist: mit Geduld und Durchhaltevermögen. Genau daran fehlt es vielen. Natürlich gibt es Vorbilder wie Hertha Zehlendorf, den Verein mit den meisten Jugendteams in Deutschland, der allerdings auch eine riesige Sportanlage zur Verfügung hat. Doch würden sich dort oder in den anderen gut funktionierenden Vereinen nicht immer wieder Menschen finden, die (meist ehrenamtlich) bereit sind, zwanzig Stunden und mehr pro Woche für den Jugendfußball zu arbeiten, würde nicht viel funktionieren. Die Aufgaben sind vielfältig: Spielbetrieb, Training, Organisation, Pass- und Meldewesen, Trainersuche, die Gewährleistung des Kinderschutzes oder die „Betreuung“ der Eltern.
Gerade viele Eltern, von löblichen Ausnahmen abgesehen, stellen immer höhere Ansprüche, sind aber oft kaum noch bereit, das Nötigste beizutragen. Natürlich soll ihr Kind besonders gefördert werden, die besten Trainer haben, auf der richtigen Position spielen – um dann, falls Talent vorhanden, dem Verein den Rücken zu kehren. Große Vereine, oder die sich dafür halten, werben schon Spieler im Kindesalter ab. Wer in Ballungsräumen Jugendarbeit verrichtet, weiß das.
Der Fehler liegt im System. Zwar bietet der DFB inzwischen diverse Online-Tools an und animiert zu (nicht ganz preiswerten) Trainerlizenzen. Aber nicht nur der Bau der sehr teuren Akademie in Frankfurt zeigt: Es wird auch im Jugendbereich nur noch von oben nach unten gedacht. Denn wer kümmert sich um die vielen Jugendlichen, die nicht das Zeug zum Profi oder Halbprofi haben? Wer einmal versucht hat, einen Trainer für eine 5. D- oder 4. C-Jugend zu finden, weiß über die riesigen Probleme des Breitensports. Einen Trainer für eine Verbandsligamannschaft kriegt man immer, doch wer ist bereit, den entwicklungsfähigen Kindern einer E6 die Grundlagen des Fußballs zu vermitteln? Es wird immer schwerer, Menschen dafür zu begeistern, sich dreimal in der Woche um 16.30 oder samstags um 9 Uhr auf den Platz zu stellen.
Stattdessen werden große Summen in ein einziges Team investiert. Die 1. Herren verschlingen häufig mehr als doppelt so viel wie die gesamte Jugendabteilung. Vielen Vorständen – die häufig auch der Hauptsponsor sind – ist Jugendarbeit zu aufwändig. Lieber kauft man sich jedes Jahr ein neues Herrenteam zusammen, statt über Jahre Jugendspieler aufzubauen.
Gibt es eine Lösung? Viele sehen sie in hauptamtlichen Strukturen. Ab einer gewissen Vereinsgröße ist das sicher sinnvoll, auch könnten sich Vereine zusammenschließen und den Spielbetrieb sowie die Mitgliederverwaltung gemeinsam organisieren. Professionalisierung allein wird aber nicht viel ändern. Es braucht einen Richtungswechsel. Beim Berliner Fußball-Verband gibt es alles Mögliche, aber keinen hauptamtlichen Projektleiter Jugend. Dies zeigt das Dilemma.
Es wird Zeit, dass Vereine und Verbände endlich anfangen, der Jugend eine höheren Bedeutung zuzumessen. Auch die Politik muss sich Gedanken machen. Jugendarbeit ist auch in ihrem Sinne. Ein ranghoher Sportfunktionär wies neulich darauf hin, dass gerade Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Milieus oft den Fußball als Sport wählen. Hier können sie Erfolgserlebnisse sammeln, Freundschaften schließen, mit Gleichaltrigen aus allen Schichten zusammenkommen und auf Augenhöhe agieren. Der Fußball preist sich selbst als Integrationsmaschine, in der jede Menge Tugenden vermittelt werden. Wenn sich aber immer weniger Vereine berufen fühlen, sich um die Jugend zu kümmern, werden die Jugendämter eine Menge zu tun bekommen. Patentrezepte gibt es nicht, aber die Diskussion über die Jugend müsste wenigstens beginnen.
In der Corona-Krise haben sich nicht zuletzt die Jugend-Coaches sehr engagiert, ob mit Online-Training oder als Ansprechpartner für Spielerinnen und Spieler. Als es dann um die Saisonbewertung und die ersten Lockerungen ging, fühlten sich viele alleine gelassen, nicht zuletzt von ihren Vorständen. Es bleibt zu hoffen, dass die Vorstände das Murren vernommen haben. Ein Haufen gekaufter Legionäre stellt für einen Verein keine Zukunft dar. Eine funktionierende Jugendabteilung hingegen schon.
Protokoll: Oliver Fritsch
Wir müssen unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen
Konkurrenten auf dem Platz, Verbündete daneben! Dieses Motto wünsche ich mir für Amateure. Die Wahrheit ist leider anders. Zwar verstehen wir uns oberflächlich oft gut, aber im Zweifel gönnt Verein A seinem Nachbarverein B nicht den Matsch unterm Stollen. Statt sich zusammenzutun, wählen viele bei Abstimmungen in den Landesverbänden oder Fußballkreisen die Variante, die dem eigenen Verein die größten Vorteile bringt. Dass die meisten Präsidien der Landesverbände beim Krisenmanagement eine dürftige Figur abgeben, macht die Sache noch schwieriger.
Mit großer Energie und wird seit Beginn der Corona-Krise nun gestritten, wie man mit der Saison umgehen soll: Abbruch, Annullierung, Unterbrechung? Welche Tabelle zählt, gilt die Quotientenregel? Das sind natürlich keine unbedeutenden Fragen, doch es gibt grundsätzlichere Dinge zu klären. Vielen Vereinen geht es seit Jahren schlecht. Die Krise des Ehrenamts trifft fast alle. Trainer werden rarer. Viele Vereine finden auch keine Jugendleiter mehr, die bereit sind, sich zwanzig oder dreißig Stunden pro Woche um die Ohren zu hauen. Eltern konfrontieren uns mit unrealistischen Forderungen, wollen gleichzeitig für die Dienstleistungen des Vereins aber kaum etwas zahlen. In den Innenstädten ist die Infrastruktur oft katastrophal, in ländlichen Gebieten fehlen häufig die Spieler für eine A- oder B-Jugend, Spielgemeinschaften sind nur selten Liebesbeziehungen. Hinzu kommen teils absurde Auflagen von Verbänden.
Die schwierigste Situation seit Kriegsende könnte eine Gelegenheit sein, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Doch der Wettkampf der Vereine tobt weiter. Ich bekomme es in Berlin mit, sie werben sich weiterhin Spieler ab, zunehmend auch Spielerinnen, in den Ballungsräumen schon im Kindesalter. Vielerorts werden Spieler maßlos bezahlt. Fazit: Die meisten Vereine überlegen, wie sie zum Krisengewinnler werden können.
Es wäre daher nötig, sich gemeinsam zu vergewissern, was für den Fortbestand des Amateurfußballs notwendig ist. Zumal von den Verbänden keine Unterstützung kommt. Eine typische Erfahrung: In Berlin wurde auf dem Verbandstag im November 2019 eine AG Zukunft beschlossen, die Themen wie Ehrenamt, Respekt, Digitalisierung, Infrastruktur, Jugend, Frauen, aber auch Amtszeitbegrenzung für Präsidiumsmitglieder diskutieren soll. Sechs Monate später ist das Präsidium allerdings immer noch nicht in der Lage oder willens, einen Plan für das Unterfangen vorzulegen. Sind die Vorschläge der Antragsteller, zu denen ich gehöre, zu heikel?
Doch es wäre zu leicht, alles dem gern kritisierten DFB in die Schuhe zu schieben. Schließlich sind Verbände ein formal demokratisches Gebilde. Die Mitglieder der DFB-Gremien werden von den Landesverbänden gewählt, in der Regel werden die DFB-Ämter von den Landespräsidenten (Präsidentinnen gibt es nicht) bekleidet. Diese wiederum werden von den Vereinsdelegierten gewählt. Und die Vereinsvorstände werden von ihren Mitgliedern gewählt. Die Chance zur Mitbestimmung ist also da.
Wir Amateure müssen endlich begreifen, dass wir unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen müssen. Die gesellschaftlichen Entwicklungen sind nicht gerade positiv für den Breitensport und es braucht eine grundsätzliche Debatte über Wert und Sinn des Amateurfußballs. Er ist immer noch der größte Jugendhilfeträger des Landes, ein Vorreiter in Integration. Er ist gesundheitsfördernd, bringt verschiedene Generationen zusammen, schafft Freundschaften und Bindungen quer durch die Milieus. Wer kann das sonst?
Doch der Fußball spielt seine Trümpfe nicht aus. Die Äußerungen des DFB-Präsidenten Fritz Keller, unseres höchsten Repräsentanten, werden der Leistung der Vereine und ihrer Ehrenamtlichen nicht immer gerecht. Da kommt mir die Bundesliga strukturierter vor. Ob man den Ankündigungen Christian Seiferts, der sie reformieren möchte glaubt oder nicht – die DFL scheint zu wissen, dass sie sich weiterentwickeln muss. Auch der Amateurfußball sollte versuchen, vieles zu überdenken. Falls nicht, könnte sich dieses Versäumnis rächen.






