Kirche Fussball Kolumne Gerd Thomas

Was Kirche und Fußball gemeinsam haben

Im Deutschlandfunk gab es zum Jahreswechsel einen Beitrag zum Mitgliederrückgang in deutschen Kirchen. Keine Überraschung, die Kirche arbeitet Missstände noch schlechter auf als der Sport. Wobei sich die Fifa in der Gemeinwohltabelle einen Platz noch hinter der katholischen Kirche (die evangelische steht etwas besser da) verdient hat. Bemerkenswert war folgendes Zitat: „Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen viel seltener aus der Kirche austreten, wenn sie einen persönlichen Kontakt zu den Pfarrerinnen und Pfarrern vor Ort haben, wenn sie das Engagement direkt spüren. Die logische Konsequenz daraus wäre eigentlich, die örtlichen Gemeinden zu stärken. Tatsächlich geschieht das Gegenteil.“

Die Parallelen zum Fußball sind offensichtlich. Nicht nur in Berlin merkt man wenig von der Stärkung der Vereine. Als Thema für die peinliche Wiederholungswahl taugt der Sport nicht. Dabei verrotten die Sportstätten, der Präsident des Landessportbundes taxierte den Sanierungs- und Neubaubedarf auf eine Milliarde Euro! https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2022/12/interview-thomas-haertel-landessportbund-berlin-vereinssport-corona-energiesparen.html

Die Summe hört sich gewaltig an, doch sieht man sich die Kosten für die Paläste der Hochkultur an, also für Staatstheater, Museen oder Opernhäuser, scheint Geld da zu sein. Eine Milliarde für den Neubau des Hohenzollernschlosses oder 440 Millionen für die Sanierung der Komischen Oper, bei der unser Bundespräsident den Geist der Humanität des Hauses würdigt. Das würde ihm zum Amateurfußball sicher nicht einfallen. Dass Eintrittskarten für Oper oder Staatstheater deutlich im dreistelligen Bereich subventioniert werden, ist den meisten Menschen kaum bekannt.

Nun dürften Olympiapark und -stadion die Steuerzahler auch viel kosten, und manch einer könnte einwenden, Sportstätten würden kostenfrei zur Verfügung gestellt. Es darf aber bezweifelt werden, dass sich die fürstlich bezahlten Intendanten der Kulturpaläste mit von Legionellen befallenen Duschen und abgeranzten Kunstrasen abspeisen lassen würden.

Der RBB interviewte drei Tage nach der Silvesternacht die Kriminologin Thaya Vester zur Gewalt im Amateurfußball und sieht tatsächlich Parallelen zur Gewalt gegen Rettungsdienste und die Polizei. https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2023/01/fussball-amateurligen-dfb-spielabbrueche-gewalt-studie-vester.html Meine Frage wäre eher, welches Potenzial der Amateurfußball hat, positiv auf junge Menschen einzuwirken.

Nicht nur Unternehmen wissen Soft Skills wie Teamgeist, Durchhaltevermögen, Verlässlichkeit oder Empathie zu schätzen. Der Teamsport Fußball kann viele dieser Dinge fördern, die ein Leben lang positiv wirken. Freundschaften entstehen über Milieus und Herkunft hinaus.

Fußball ist nicht das Problem, Fußball ist Lösung oder Chance. Wenn es den persönlichen Kontakt zu den Trainerinnen und Trainern vor Ort gibt, wenn die Kids das Engagement direkt spüren. Natürlich können die Erfolge der Sportvereine in der Jugendarbeit nur so gut sein, wie es die Bedingungen hergeben. Die sind vielerorts schlecht: marode Sportstätten, zu wenige Ehrenamtliche, kaputtgesparte Behörden. Es sieht nicht danach aus, dass die Politik die Chancen des Amateursports erkennt.

Wie kriegen wir die soziale und integrative Kraft des Amateurfußballs auf die Tagesordnung? Wo sind die ambitionierten Sportpolitiker? Test: Wem fällt auf Anhieb eine Person aus dem Sportausschuss des Deutschen Bundestags ein? Wer erörtert mit Sozialverbänden, Vereinsvertretern oder Streetworkern die Möglichkeiten der Gestaltung? Wie stärkt man die Vereine, damit ihr Beitrag noch höher sein kann?

Die Flüchtlingshilfe sollte man einbeziehen, denn viele Geflüchtete wollen Fußball spielen. In Vereinen finden sie Kontakte, können sie trotz der schrecklichen Erinnerungen für ein paar Stunden auf andere Gedanken kommen oder einfach nur Spaß haben und sich bewegen. Wer allerdings glaubt, man könne die Leute einfach zum Verein schicken, und dieser wird schon was draus machen, hat keine Vorstellung, wie ein Sportverein funktioniert.

Es gibt Tausende von Vereinen und noch mehr Menschen, die gern unterstützen möchten. Wir müssen sie in die Lage versetzen, ihre Arbeit gut zu machen. Warum nicht mit der Unterstützung durch Sozialarbeiter oder Pädagogen? Viele Vorstände sind müde und erschöpft, gerade die Pandemie hat Energie gezogen. Soziale Kompetenz im Sport braucht aber Struktur. Wenn das nicht bei der Politik ankommt, werden wir noch viele Konflikte haben, von denen eine Menge vermieden werden könnte. Wenn denn der Amateursport endlich als gesellschaftliche Kraft ernstgenommen würde.

An dieser Stelle kommen die Landesverbände ins Spiel. Ihnen und dem DFB fällt eine wichtige Rolle zu. Der seit einigen Monaten für die Jugend zuständige Vizepräsident Hermann Winkler und der Vizepräsident Amateurfußball Ronny Zimmermann sind gefragt, Strukturen zu schaffen. Zuvor sollten sie dringend Expertise von den Vereinen einzuholen. Die EURO2024 mit ihrem Schwerpunkt Nachhaltigkeit ist eine Steilvorlage, denn eine der drei Nachhaltigkeitssäulen heißt Soziales. In der Werbung gibt es den Spruch: All business is local. Alles Soziale findet ebenfalls vor Ort statt – ob in der Kirche oder auf dem Sportplatz.


Die neue Offenheit mit Bernd Neuendorf

Die Weltmeisterschaft in der Wüste rückt näher. Vielen ist nicht wohl in der Haut. Einerseits sind nasskalte Herbstabende wie gemacht für ein Treffen mit Freunden, um sich Spiele gemeinsam fachsimpelnd anzusehen. Auf der anderen Seite finden wir es mit unserem westzentrierten Blick natürlich nicht gut, wenn es kein Public Viewing auf der Straße gibt, Spielstätten hinterher ungenutzt bleiben, und dann gibt es ja auch noch die Menschenrechte. Nun gibt es nichts zu relativieren, vieles wirkt wie aus unserer Zeit gefallen. Hier reden alle über Nachhaltigkeit, und dort werden die Stadien gekühlt. Wobei eben vor allem geredet und wenig gehandelt wird. Denn nachdem die DFL angekündigt hat, soziales und ökologisches Handeln, ja sogar eine verantwortungsvolle Unternehmensführung würden nun Lizenzkriterien werden und auf der Spobis dankenswerterweise ein Award für Nachhaltigkeit im Sport verliehen wurde, ist nicht mehr viel passiert, mal abgesehen von einer Vielzahl Podcasts.

https://www.berliner-woche.de/schoeneberg/c-sport/fc-internationale-erhielt-erstmals-verliehenen-preis_a358457

Wie können wir unseren Beitrag leisten, gleichzeitig den Amateurfußball fördern? Wir forsten gerade den WM-Spielplan nach Alternativen durch, denn der Ball im Amateurfußball wird weiterrollen, wenn die WM läuft. So spielt am 2. Dezember Deutschland gegen Costa Rica, zeitgleich wird aber auch das Spiel unserer Ü60 zwischen dem FC Internationale und Hertha Zehlendorf angepfiffen. Die zweite Halbzeit könnten wir noch gemeinsam anschauen. Am Eröffnungstag der WM spielen unsere Frauen gegen Hansa 07 (und zwar inklusive eines Statements zu Katar). Jeder Amateurverein kann nachsehen, welches Alternativ- oder Begleitprogramm zum WM-Spielplan möglich ist. Lasst eurer Kreativität freien Lauf! Ob ihr Diskussionsveranstaltungen organisiert, Stellungnahmen abgebt oder in Sondertrikots auflauft.
Wobei das mit den Trikots schon wieder so eine Sache ist. Denn bei der Nachhaltigkeit (mit diesem Thema hat sich der DFB erfolgreich für die Euro 2024 beworben) geht es nicht zuletzt auch um Verzicht. Ob die Sponsoren das auch so sehen, darf bezweifelt werden. Vereinsvorstände sollten aber überlegen, ob es wirklich jedes Jahr neue Trikots braucht. Natürlich nicht, selbst alle zwei Jahre nicht. Trägt man sie länger, wäre das ein doppelter Beitrag, nämlich zur ökologischen und zur ökonomischen Nachhaltigkeit.

Alle Amateurvereine sollten schon jetzt überlegen, was ihr Beitrag zur Euro sein kann. Überprüft eure Infrastruktur, ob LED-Lampen, Solarzellen oder Warmwasserregler vorhanden sind. Fragt bei eurem Sportartikelhändler nach Fairtrade-Bällen (die oft besser als die herkömmlichen sind), überprüft euer Catering, ob ihr nicht Essen und Getränke aus der Region beziehen könnt und fördert den Jugendfußball! Sorgt dafür, dass Mädchen und Frauen spielen können und gute Trainingszeiten erhalten, schafft Modelle zur Teilhabe aller, auch denen aus nicht privilegierten Familien! Schafft Bedingungen für diskriminierungsfreien Sport, für internationalen Austausch, für Begegnung von jung und alt, sucht dafür Partner vor der Haustür! Das alles bedeutet nachhaltiges Handeln. Das alles kann der Fußball. Da Geld bei der Umsetzung der Pläne nötig ist, holt auch die lokale Politik und die ansässigen Unternehmen im Sinne einer echten Solidargemeinschaft
mit ins Boot und schafft Win-Win-Situationen!
Aber nehmt auch Einfluss auf die Sportverbände auf Landes- oder Kreisebene! Teilt ihnen eure Ideen für eine soziale und ökologische Euro mit, fordert sie auf, das „nach oben" weiterzutragen! Vor einigen Wochen besuchte uns der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Wir sprachen vor allem über Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs, aber auch über Partizipationsprozesse und ein gerechteres Zusammenspiel von Profis und Amateuren.

Ich habe Bernd Neuendorfs Vorgänger kennengelernt, noch nie habe ich so viel Offenheit und Ernst für unsere Themen wahrgenommen wie bei ihm. Er wird sich an Erfolgen messen lassen müssen. Aber wir sollten ihm zeigen, dass wir alle ein Interesse an den 17 UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung haben. Sie sind im Sinne eines gerechteren, handlungsfähigeren und solidarischeren Fußballs. Dagegen kann niemand etwas haben, oder?
https://www.plan.de/sdg-nachhaltige-entwicklungsziele.html
https://www.inter-berlin.de/news/1/771561/nachrichten/sponsors-interview-mit-gerd-thomas,-vorstand-fc-internationale-berlin-(ungek%C3%BCrzte-version).html


Jugendfußball: »Mehr Förderung für Deutschlands Sozialprojekt Nr. 1!«

In den letzten Monaten habe ich viel über soziale Projekten gelesen, in denen mit Hilfe des Fußballs versucht wird, junge Menschen zu
stabilisieren. Fast immer geht es um Zielgruppen, die über den Sport besser erreichbar sind als über herkömmliche Wege wie die Schule. Es ist begrüßenswert, dass die Kraft des Fußballs zur Verbesserung der Gesellschaft genutzt wird.

Gleichwohl lesen sich die meisten Berichte der durchführenden Organisationen, als würde dort die Welt neu erfunden, was natürlich nicht stimmt. Vielmehr haben diese durch teilweise riesige Fördermengen ganz andere Möglichkeiten als die Vereine. Ob sie immer ideal genutzt werden? Ich würde sagen: Es gibt solche und solche. Und wenn Projekte mit siebenstelligen Summen unterstützt werden, kann man auch erwarten, dass am Ende ein Ergebnis steht.

Zur Steigerung der Effizienz hätte ich einen anderen Vorschlag, nämlich die Kooperation mit Vereinen. Denn in den vielen Amateurclubs mit funktionierenden Jugendabteilungen (was nicht auf alle zutrifft) findet die wahre Teilhabe statt. Hier spielen Kinder und Jugendliche verschiedener Herkunft und Milieus miteinander, hier wird meist nicht auf Unterschiede geachtet, sondern auf die Gemeinschaft.

Hier spielt der 10-jährige Junge aus Schöneberg mit dem aus der Grunewald-Villa in einem Team, trägt das gleiche Trikot, gewinnt und verliert gemeinsam. Hier trifft die Bildungsbürgertochter aus dem Eppendorfer Altbau auf die Jugendliche aus der Steilshooper Trabentenstadt. Hier wird das vollzogen, was landläufig als Integrationsarbeit verstanden wird. Arm und Reich, Biodeutsch und Zuwanderung treffen auf-, spielen miteinander.

Beim FC Internationale sind wir seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. In den ersten fünf Jahren haben wir je 1.000 Euro dafür
bekommen, seitdem ist uns der Titel zwar Verpflichtung, aber wir erhalten keine finanzielle Zuwendung. Gleichwohl wird bei uns wie bei vielen anderen Vereinen täglich Zusammengehörigkeit gelebt. Menschen mit Familienwurzeln aus mehr als siebzig Nationen spielen und trainieren gemeinsam, einige mit großen Ambitionen, andere just for fun.

Was aber alle gemeinsam haben, ist das Erlernen von so genannten Soft Skills, darunter so vermeintlich profane Dinge wie Respekt, Teamgeist,
Frustrationstoleranz, Motivation, Ehrgeiz oder Durchhaltevermögen. Diese Fähigkeiten werden im Fußballverein von Coaches vermittelt, in Projekten lässt man sich das teuer bezahlen – durchaus zu Recht im Übrigen.

Nur besteht zwischen Ehrenamt und Beruf eine immer tiefere Kluft. Von den einen wird erwartet, dass sie kostenlos ihren Dienst an der Gesellschaft leisten, andere werden honoriert, wenn im sozialen Bereich leider auch oft zu schlecht. Warum verbinden wir die Dinge nicht?

Wir könnten die Aufgaben teilen. Bildungsträger könnten Anträge schreiben und soziale Kompetenzen einbringen, Vereine das Training durchführen und die spezifischen Anforderungen der Aktiven erläutern, zudem sportliche Infrastruktur zur Verfügung stellen. Gewinnen würden vor allem die Projektteilnehmenden, aber auch die Kommunen, die durch funktionierende Kooperations-Projekte eine Aufwertung erfahren.

Ideal wäre, wenn sich zudem Unternehmen beteiligen würden. Und auch sie könnten profitieren, etwa indem junge Menschen in der Persönlichkeit gestärkt werden, aber auch leichter zu identifizieren sind, nämlich vor der Haustür. Nachhaltig betrachtet dürfte das auch kostengünstiger sein als die Suche nach Fachkräften auf Online-Portalen oder über teure Headhunter.


Kolumne Michael Franke

Der FC Bayern lässt sich was einfallen

Die Probleme des Scoutings und viel zu früher Vereinswechsel habe ich an dieser Stelle schon diskutiert. Studien zeigen, dass vor allem bei Kindern unter 14 keine seriöse Einschätzung des Entwicklungspotentials möglich ist. Ein großer Teil ausselektierter Kinder leidet letztlich unter klinisch nachweisbaren psychischen Problemen.

Der FC Bayern zieht nun aus den Erkenntnissen erste Konsequenzen. Er bildet Förderkader. Das bedeutet, dass der FC Bayern zukünftig keine Mannschaften der Altersstufen U7 bis U10 mehr haben wird. Spielerinnen dieser Altersstufen werden zwar gescoutet und in den Förderkader
eingeladen. Dies bedeutet aber, dass sie weiterhin bei ihrem Heimatverein trainieren und spielen sowie zusätzlich ein Training pro Woche im regionalen Förderkader des FC Bayern absolvieren. Damit erhoffen sich die Verantwortlichen des FC Bayern einen frühen Zugriff auf Talente der Region, ohne jedoch die negativen Nebeneffekte zu erzeugen.

Der Umstand, dass dann keine Spiele mehr im Trikot des FC Bayern erfolgen, führt dazu, dass der Erfolgsdruck für den Verein entfällt. Dafür kann mehr Energie in die Entwicklung der Spieler gesteckt werden. Und es könnten auch talentierte retardierte Spielerinnen Berücksichtigung finden. Zudem garantiert der FC Bayern eine Mindestverweildauer im Förderkader von sechs Monaten.

Also alles super, oder?

Ich versuche mal die positiven, aber auch die kritischen Aspekte dieses Konzepts herauszuarbeiten:

Positiv

  1)    Spieler bleiben bis einschließlich der U10 im Stammverein. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler im Fall der negativen Selektion den Heimatverein verlässt, vermutlich deutlich sinkt.
  2)    Negative Effekte des frühen Wechsels, wie beispielsweise lange Fahrtwege, der Verlust sozialer Kontakte, massiver Erfolgsdruck in Spielen entfallen bis zur U11.
  3)    Spielerinnen profitieren von einem qualifizierten Zusatztraining.

Negativ

  1)    Der Selektionsdruck bleibt grundsätzlich erhalten, da der Förderkader die Vorstufe zur U11 darstellt. Die garantierte Mindestverweildauer von sechs Monaten erscheint kurz. Ob man Talent in diesem Alter erkennen kann, sehr umstritten.
  2)    Die zusätzliche Trainingseinheit wochentags erschwert sonstige sportliche Aktivitäten.
  3)    Das Kontaktkonzept Trainer – Eltern/Spieler – Verein überzeugt nicht. Die offene Aufklärung der Eltern über Chancen und Wahrscheinlichkeiten erfolgt zu spät. Die Reihenfolge Verein – Trainer – Eltern/Spieler wäre wünschenswert.
  4)    Beim Vereinswechsel in der U11 bleibt der Stammverein bei etwaigen späteren Transferbeteiligungen ausgeschlossen. Dazu müsste der Wechsel erst in der U12 erfolgen. Hier wäre der DFB gefordert nachzubessern, da in der U12 die Stützpunkttrainings starten.

Fazit: Das Konzept Förderkader des FC Bayern ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht mehr. Viele der negativen Effekte des Kleinfeldscoutings werden unterbunden oder zumindest gemildert. Dennoch bleiben Probleme, die es vor einer Entscheidung für oder gegen den Förderkader zu bedenken gilt.


Michi Franke Kolumne

Manchmal ist weniger am Ende mehr!

Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sind eine tragende Säule der Jugendausbildung im DFB. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 50 NLZ, in denen die regionalen Spitzentalente aller Jahrgänge ab der U8 weiterentwickelt werden sollen. Vereine der 1. und 2. Bundesliga sind verpflichtet, ein NLZ zu betreiben. Einige Dritt- und Oberligisten betreiben aber auch solche Einrichtungen mit dem Ziel, Talente bestmöglich zu entwickeln.

Die NLZ betonen vor allem immer folgende Funktionalitäten des Betriebes:
1) Die frühe Entdeckung von Spitzentalenten
2) Die langfristige Entwicklung der Spieler im NLZ
3) Den Vorrang der schulischen vor der sportlichen Ausbildung
4) Das Ziel, Eigengewächse für die eigenen Herrenteams auszubilden

Das klingt doch super. Um es kurz zu sagen. In der Regel bleibt es beim schönen Klang.

Eine großangelegte Metastudie von Prof. Arne Güllich (TU Kaiserslautern), die dem Verfasser vorab vorliegt, wertete Daten aus den deutschen NLZ sowie über 30 internationalen Youth Soccer Academies aus.

Die Ergebnisse zeigen im Gegensatz zur beschriebenen Theorie folgende NLZ-Realität:
1) Hohe Frequenz des Spieleraustausches in allen Altersklassen (durchschnittlich 29% der Spieler werden jährlich ausgetauscht).
2) Erfolgreichere Profis kamen erst in späterem Alter in die Leistungszentren als weniger erfolgreiche Profis – eine frühere Förderung hängt also mit geringerem Erfolg im Erwachsenenalter zusammen.
3) Der kurzfristige Teamerfolg steht über der langfristigen Entwicklung einzelner Spieler.
4) Fußball hat Vorrang vor schulischer Bildung.
5) Es gibt einen deutlich steigenden Anteil neu verpflichteter auswärtiger Spieler.

Diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu und waren regelmäßig Teil der Kritik an der Arbeit der NLZ. Nun sind diese bisherigen Vermutungen aber erstmals wissenschaftlich fundiert nachgewiesen.
Und damit entstehen große Fragezeichen an der Arbeit in den NLZ.

Die hohe Frequenz des Spieleraustauschs weckt massive Zweifel am aktuell gelebten System des Scouting von Kindern. Es wird jährlich immerhin fast ein Drittel der gescouteten Spieler ausgetauscht. Die gewonnenen Daten zeigen deutlich, dass die Talentsichtung in den Altersstufen U8 bis U14 nicht sinnvoll ist.
So finden sich beispielsweise nach 8 Jahren nur mehr 9 % der ursprünglichen U11 Spieler im NLZ in der U19. 91 % der Spieler werden zwischen der U11 und der U19 also aussortiert. Am Ende verbleibt weniger als 1 % der U11 Spieler, welches den Übergang in ein Herrenteam schafft.
Eine zuverlässige Entwicklungsprognose ist bei Kindern unter 14 Jahren nicht möglich. Ein U15 Spieler, der in ein NLZ wechselt, hat zumindest eine etwa 10%ige Chance, im NLZ den Übergang in den Herrenbereich zu schaffen. Anstatt Kinder langfristig zu entwickeln, werden diese bei Nichtgenügen ausgetauscht.
Im Wissen, dass rund 50 % der aus dem NLZ entlassenen Spieler medizinisch belegbare psychische Folgeschäden erleiden, erscheint die Vorgehensweise der regelmäßigen Selektion und Deselektion der NLZ schwerlich verantwortbar.

Auch spannend: Ein Großteil der Herrenspieler internationaler Klasse hat als Jugendlicher weniger Zeit für die Hauptsportart Fußball aufgewandt und sich einer Zweitsportart zugewandt. Das bedeutet, die sportliche Entwicklung setzte bei diesen Spielern später, aber dafür nachhaltiger ein. Die hohe Intensität der Hauptsportart im Kindesalter führt also zu einer beschleunigten sportlichen Entwicklung der Kinder, ist aber für die spätere Leistungsentwicklung im Erwachsenenalter eher schädlich. Die leistungsstärksten erwachsenen Spieler hatten als Kinder eine moderate Trainingsintensität, praktizierten verschiedene Sportarten, spielten länger in ihrem Heimatverein und blieben sozusagen von den negativen Einflüssen einer frühzeitigen Intensivförderung im NLZ verschont. Sie minimierten ihre persönlichen Einschränkungen als Kinder und Jugendliche, während sie ihr persönliches langfristiges Entwicklungspotential steigerten.

Aktuell schafft es etwa eines von 1.000 entdeckten Talenten aus NLZ in die erste Bundesliga.

Fazit:
Das Scouting von Kindern bis zu einem Alter von etwa 13 Jahren widerspricht den eindeutigen Ergebnissen der Studie. Es ist daher auch nicht zweckmäßig, Jahrgänge früher als U14 in NLZ zu führen.
Zum einen wirkt sich die hohe Intensität und Fokussierung in der Hauptsportart negativ auf die spätere Leistungsfähigkeit der Spieler aus. Zum anderen führt das real gelebte System der permanenten Selektion und Aussortierung von Spielern zu einer großen Zahl von Kindern mit klinisch nachweisbaren psychischen Folgeproblemen.