Rettet den Jugendfußball!

In der überregionalen Videokonferenz „Rettet die Amateure“ am 5. November wurde viel Ärger über DFB und Landesverbände deutlich, auch die mangelnde Unterstützung der Politik und die fehlende Wertschätzung für die Ehrenamtlichen wurden kritisiert. Was mich besonders nachdenklich macht, ist der Zustand des Jugendfußballs. Immer wieder kamen Klagen über die Überlastung, einige sahen ihre Coaches mehr als Sozialarbeiter denn als Trainer. Gerade in Gegenden, die nicht sehr gut betucht sind, müssen Vereine mehr und mehr die Rolle des Blitzableiters einnehmen. Die Pandemie hat die ohnehin schwierigen Bedingungen noch verschärft.

Kinder und Jugendliche sind in ihrem Verhalten deutlich auffälliger als vorher, nicht wenige sind übergewichtig, viele können keine Rolle vorwärts oder haben schon Probleme beim Rückwärtslaufen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Suche nach Trainerinnen und Trainern immer schwerer wird. Der allgemeine Fachkräftemangel führt zu Überstunden, die dann für die Vereinsarbeit fehlen. Junge Leute müssen sich neben dem Studium Geld hinzuverdienen, um die immer teureren Mieten zahlen zu können. Die geringe Aufwandsentschädigung in den Vereinen, meist unter 100 Euro im Monat, reicht vorne und hinten nicht. Also entscheiden sich auch interessierte Menschen, also potenzielle Trainer, für den Job an der Supermarktkasse oder der Kellnerin und stehen den Vereinen nicht mehr zur Verfügung.

Die Krise wird durch wachsende Ansprüche von Eltern und Verbänden verschärft. Mehrere Teilnehmer der Konferenz forderten, die Ausbildung zu den ohnehin zeitraubenden Trainerlizenz-Lehrgängen kostenfrei zu gestalten. Gleichzeitig hört man immer wieder Stimmen, mehr Elemente zum Erlernen von Sozialkompetenz in die Schulungen aufzunehmen. Was nützt es, wenn ein Trainer den nötigen Abstand der Markierungshütchen kennt, aber seine Spieler und deren Eltern nicht erreicht?

Auch das Thema Eltern fiel sehr häufig. Schafft es ein Trainer, seine Mannschaft richtig einzustellen, kann es durchaus passieren, dass sich auf der gegenüberliegenden Seite des Feldes eine Reihe von Erzeugern wie eine Art Zweitcoach aufführen. Am schlimmsten wird es, wenn der eigene Schützling nicht spielt. Dann wird schon mal unverhohlen gegen den Coach gehetzt und dessen Befähigung in Frage gestellt. Dass es obendrein immer weniger Schiedsrichter gibt, macht die Sache noch prekärer. Auch hierfür dürften übermotivierte Eltern ein Grund sein.

Wie kommen wir aus der Misere? DFB und Landesverbände müssen Rezepte finden. Das geht aber nicht allein in der Otto-Fleck-Schneise oder im neuen Elfenbeinturm DFB-Akademie. Der Sportwissenschaftler Harald Lange, einer der Teilnehmer der Konferenz, fordert dezentrale Initiativen – und dadurch mehr Vielfalt. Er warnte vor einer Bündelung der Kompetenzen in der DFB-Zentrale, von wo dann in der gewohnten Top-Down-Mentalität die Order an alle Vereine geht. Denn irren sich die allwissenden Experten dort, ist gleich eine ganze Generation von Spielerinnen und Spielern betroffen.

Vor allem braucht es Ideen, wie wir den Druck aus dem Jugendfußball rausnehmen und neue Interessierte für den Trainerjob gewinnen und diesen attraktiver gestalten können. Hierbei sollte der Fokus mehr auf der Breite als auf die Spitze gelegt werden. Wenn die Unterstützung an der Basis fehlt, wird auch in den hohen Ligen weniger Qualität ankommen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Jugendfußball vor Herausforderungen immensen Ausmaßes steht. Diese zu bewältigen können nur in einer großen Solidargemeinschaft aus DFB, Landesverbänden, Profi- und Amateurvereinen bewältigt werden. Sie sollte aber auch zwingend Politik, Verwaltung, Bildungswesen und Wirtschaft einbeziehen, schließlich gilt der Verein nicht nur als Schule der Demokratie, sondern auch als dritter Bildungsort, aus dem die allseits so begehrten Fachkräfte von morgen kommen.

Bleiben die Eltern, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Immerhin gibt es die großartige Susanne Amar, die sich als Coach auf den Umgang mit Fußballeltern spezialisiert hat. Ich prognostiziere, dass sie künftig nicht an zu wenig Anfragen zu leiden hat. Und noch eine Vorhersage: Lernt der DFB nicht, die Nöte und Sorgen der Basis zu verstehen, werden sich Parallelstrukturen bilden. Das könnte schneller geschehen, als es sich die Funktionäre dort vorstellen.


Scouts stehen sich auf den Füßen

Scouts gab es im Fußball schon immer, auch wenn sie füher anders hießen – Talentspäher zum Beispiel. Ein guter Jahrgang eines Amateurvereins zog schon immer die Scouts der großen Vereine aus der Umgebung an. Die pickten sich den einen oder anderen Spieler heraus, oft schon im Altersbereich U12. Als kleiner Verein waren wir darauf auch stolz. Spieler, die uns verließen, wurden beim Sommerturnier mit einem kleinen Pokal und großem Applaus verabschiedet. Und nicht wenige kamen später wieder zu Besuch oder sogar auch aktiv wieder zurück. Philipp Lahm, der 1995 elfjährig zum FC Bayern wechselte und eine Weltkarriere einleitete, hat nie die Bindung zu unserem Verein verloren.

Alles war irgendwie gut, doch aus heutiger Sicht mutet diese Erinnerung an wie aus einem anderen Jahrhundert. Bis vor ein paar Jahren war die regionale Vereinsstruktur recht einfach in München. Es gab drei Nachwuchsleistungszentren (NLZ), nämlich 1860, FC Bayern, Unterhaching, sowie einige wenige mittelgroße Vereine, die sich wiederum die NLZ-Abgänger schnappten, um in möglichst hochklassigen Amateurligen zu spielen.

Mittlerweile scouten aber in München nicht nur die NLZs, sondern es werben erklärte Leistungsvereine mit NLZ-artiger Ausprägung aktiv um Spieler. Zudem übernehmen kommerzielle Fußballschulen Jugendabteilungen und werben ebenfalls aktiv. Und sportlich überregional ambitionierte Vereine bekommen längst nicht mehr automatisch die NLZ-Dropouts. Auch sie müssen aktiv um die Spieler der kleineren Vereine werben. Und es gibt auch noch die sogenannten Projektteams der Fußballschulen in Vereinen, die natürlich auch eine Anziehungskraft im Umfeld erzeugen. Die Nahrungskette im Fußball ist länger und länger geworden.

Diese Gemengelage führt dazu, dass ein sehr dynamisches Rennen um die hoffnungsvollen Talente stattfindet. Scouts aller Art stehen sich auf den Fußballplätzen der Region praktisch auf den Füßen. Ein mir persönlich bekannter Scout berichtete mir, dass viele Spieler mittlerweile genervt auf seine Ansprache reagieren. „Du auch noch ...“ Vermutlich werden auch schon Scouts gescoutet.

Diese Entwicklung verursacht vor allem bei den vielen kleinen Vereinen für erhebliche Orientierungsprobleme, zumal sich das Scouting mittlerweile auch auf ambitionierte Jugendtrainer erweitert hat. Es stellt sich die Frage, wie ein normaler Stadtteilverein auf diese Entwicklung reagieren kann, um weiterhin attraktiv für Spieler und Ehrenamtler zu sein. Zumal die Qualität der sportlichen Strukturen (Infrastruktur, Trainer) am Ende auch eine finanzielle Dimension bekommt, die ein normaler Stadtviertelverein kaum stemmen kann.

Wir sind in unserem Verein aktuell auf der Suche nach der Antwort.


Die Mannschaft ist unser Spiegelbild

Der Schiedsrichter, das ewige Thema. Mit meiner D-Jugend erlebte ich vor kurzem in einem Meisterschaftsspiel einen, der offensichtlich nicht seinen besten Tag erwischt hatte. Fehlentscheidungen hüben wie drüben. Durch eine gerieten wir 0:1 in Rückstand, ich äußerte meinen Ärger. Das Spiel wurde von Minute zu Minute hitziger, verbal wie physisch. Mit der Häufigkeit seiner Fehler stieg mein Lautstärkepegel, ich überschritt definitiv die von mir aufgestellten Regeln des Umgangs mit Schiedsrichtern.

Glücklicherweise endete das Spiel wenige Minuten nach meinem Wutausbruch und ich, der sich mittlerweile gefangen hatte, ging auf den Schiedsrichter zu und entschuldigte mich. Als ich meine Mannschaft zusammenrief, erwartete mich allerdings ein Haufen frustrierter Jungs. Sie sagten folgendes:

  • „Alter, der Gegner war unfair.“
  • „Der Schiedsrichter ist Schuld, dass wir verloren haben.“
  • „Wäre der Schiedsrichter nicht gegen uns gewesen, hätten wir gewonnen.“

Sätze, gegen die wir tagtäglich im Training ankämpfen, fielen nun zuhauf. Mir wurde bewusst, dass ich durch mein Auftreten den Kindern jegliche Chance der Selbstkritik verwehrt hatte und ihnen die Tür öffnete, ihrer eigenen Wut freien Lauf zu lassen. Mir wurde vor Augen geführt, dass jegliches Handeln des Trainers eine direkte Auswirkung auf seine Spielerinnen und Spieler hat, wie groß unser Einfluss ist und welche Verantwortung wir tragen. Wenn sich der Trainer daneben benimmt, wird es das Team mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tun. Die Folgen können Gewalt und Spielabbrüche sein.

Als Kinder- und Jugendtrainer stehen wir alltäglich vor der Herausforderung der Trainingsgestaltung. Unser Augenmerk liegt fast ausschließlich auf Technik, Taktik und Kondition. Häufig ist uns nicht bewusst, dass wir neben der Spielintelligenz auch die soziale und emotionale Intelligenz unserer Spieler, ihre personalen Kompetenzen trainieren können, vielleicht müssen.

Die D-Jugend ist auch dafür das goldene Lernalter. Von 10 bis 12 oder 13 sind Kinder nicht nur wahnsinnig lernfähig, was Koordination und Technik angeht, in diesem Alter festigt sich auch ihre Wahrnehmung von Moral. Und sie etablieren Verhaltensweisen, die in späteren Jahren nur sehr schwer zu revidieren sein werden. Mit meiner D-Jugend versuche ich also, neben meinen sportlichen Zielen, auch Themen wie Respekt, Selbstkritik, Zielorientierung und Frustrationstoleranz zu erreichen. In nahezu jedem Training versuche ich, Trainingsinhalte mit diesen Kompetenzen zu verknüpfen oder diese Werte durch meine Ansprachen zu vermitteln.

Als Trainer haben wir Möglichkeiten, ungewollten Verhaltensweisen vorzubeugen und unseren Spielerinnen positive Handlungsalternativen zu vermitteln. Dafür habe ich in den vergangenen Jahren fünf Schritte in mein Handeln integriert:

1. Vorbild: Lebe die Werte vor, die du von deinem Team verlangst. Deine Jugendspieler sehen in dir ein Vorbild. Dein Verhalten, ob gegenüber ihnen, anderen Trainern oder Schiris, hat eine unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten der Spielerinnen auf dem Platz.

2. Kommunikation: Deinem Team müssen diese Werte bekannt sein. Begriffe wie Respekt, Kritik oder Durchhaltevermögen, sollten für deine Spieler keine Worthülsen sein, sondern einen Sinn ergeben. Durch Ansprachen, die du mit Beispielen versiehst, schaffst du Verständnis.

3. Verhaltensweisen anbieten: Oft wissen Kinder nicht genau, was du meinst, wenn du beispielsweise von respektvollen Verhalten sprichst. Konkretisiere es oder fordere ein explizites Verhalten, und erkläre, warum du genau dieses Verhalten wünschst. „Ich möchte von euch, dass ihr auch nach hohen Siegen Respekt vor dem Gegner habt und euch nach dem Spiel bei euren Gegnern für das Spiel bedankt. Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr 10:0 verliert und der Gegner euch auch noch auslacht?“

4. Konsequenz: Bestimmte Verhaltensweisen hast du deinem Team als inakzeptabel vermittelt. Alle wissen das und kennen auch die Konsequenzen, wenn man sich dagegen verhält. Diese Konsequenzen ziehst du durch, selbst wenn sie deinen besten Spieler treffen.

5. Reflexion: Insbesondere dann, wenn wir uns als Team nicht an bestimmte Verhaltensweisen gehalten haben, wird im Nachhinein darüber gesprochen. Darüber zu sprechen, die Ursachen für das eigene Fehlverhalten im geschützten Rahmen der Mannschaft zu besprechen, schafft Vertrauen und Verständnis gleichermaßen.

Jede Trainerin, jeder Trainer muss seinen eigenen Weg finden. Diese fünf Schritte habe ich für mich erarbeitet. Sie haben mir über die Jahre geholfen, auch im Umgang mit Schiedsrichtern, die Werte an meine Teams zu vermitteln, die mir persönlich wichtig sind und die auf dem Fußballplatz und in der Gesellschaft für meine Spielerinnen und Spieler einen Mehrwert darstellen.

Protokoll: Oliver Fritsch


Kinderfussball

Es sollen alle spielen

Ich möchte von einem Aha-Erlebnis als Kindertrainer berichten. In der Regel nehme ich zu den Spielen immer vier Wechselspieler mit – in der Absicht, alle spielen zu lassen. Doch als wir vor ein paar Jahren in einem wichtigen Spiel knapp in Führung lagen, wechselte ich nicht ein einziges Mal. Wir gewannen das Spiel, aber vier Kinder hatten keinerlei Anteil, fühlten sich als Verlierer, als zu schlecht für unser Team. Auch meine Aufmunterungen, das Wechselspieler stets einen Teil zum Sieg beitragen, tröstete sie nicht. Ich war Gewinner und hatte doch verloren.

So gut wie alle Kinder- und Jugendtrainer stehen dauerhaft vor der Frage: Spiele ich auf Sieg und lasse die besten Fußballer durchspielen? Oder gebe ich allen eine Einsatzchance, auch wenn ich damit den Sieg gefährde? Geht gewinnen über alles? Es ist eine der schwierigsten Entscheidungen, mit denen ich mich Woche für Woche konfrontiert sehe. Es wird wohl nie die ultimative Fairness geben, aber ich habe einen Ansatz gefunden, mit dem ich als Trainer, die Kinder und die Eltern gut leben können.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir mein Auftrag als Jugendtrainer: Du sollst die Freude der Kinder am Sport fördern, ihnen Werte und Gemeinschaftsgefühl vermitteln, auch die fußballerischen Talente aller entwickeln. Wie war ich also auf die Idee gekommen, dass ich ein einzelnes Spiel wichtiger bewertete als meinen Auftrag? Wenn ich ehrlich bin: Es war mir um mich gegangen. Ich wollte den Erfolg und nahm keine Rücksicht auf die Auswechselspieler.

Als ich das erkannte, beschloss ich, mein gesamtes Handeln diesem Auftrag zu unterwerfen. Ich erarbeitete ein Konzept, das ich den Drei-K-Ansatz nenne und das für die Altersspanne fünf bis zwölf Jahre und den Breitenfußball, wo es ein starkes Leistungsgefälle gibt, gut funktionieren kann: Konzept, Kommunikation, Kompetenz. Damit habe ich es geschafft, Kinder nicht mehr zu enttäuschen und Konflikte mit Eltern zu verhindern. Zugleich fördere ich bei den Kindern das Verständnis für ihre Selbstwirksamkeit.

Das erste K steht für Konzept. Gemeinsam mit dem Trainerteam, zum Teil auch mit den Eltern, haben wir ein Konzept entwickelt, das die Regel, wer wann und in welchem Team zum Einsatz kommt, klar vorgibt. Im Fall meiner D-Jugend, die dieses Jahr vierunddreißig Kinder umfasst, haben wir es folgendermaßen gelöst: Zu Saisonbeginn gibt es einen festen D2-Kader. Die Kinder sammeln jede Woche Spielerfahrung in der D2, haben Erfolgserlebnisse und vor allem Spaß. Darüber hinaus gibt es sechs bis acht Spieler, die wir als Rotationsspieler bezeichnen und die gelegentlich sowohl in der D1 als auch in der D2 spielen. Zudem gibt es einen festen D1-Kader. Darüber hinaus gilt die Maxime, dass jedes Kind, das am Wochenende zum Spiel fährt, eingesetzt wird. Alle Kinder kennen nicht nur dieses System, sie haben es mitentwickelt.

Das zweite K steht für Kommunikation. Ein Konzept ist nur dann gut, wenn es transparent ist. Wir haben das System den Eltern und den Kindern vorgestellt und sichergestellt, dass alle informiert sind. Wöchentlich sprechen wir mit den Kindern und informieren sie darüber, in welchem Team sie am Wochenende spielen werden. Wir fragen: „Ist das ok für dich Bist du einverstanden?“ Am liebsten habe ich es, wenn ein Kind nicht einverstanden ist, weil es uns die Möglichkeit gibt, ihm Tipps zu geben, wie es sich weiterentwickeln kann.

Das dritte K steht für Kompetenz. Wir handeln ja nach der Maxime, dass alle Kinder, die mitfahren, auch zum Einsatz kommen. Es sei denn, ein Kind erklärt von sich aus, in einer engen Spielsituation, dass es nicht eingesetzt werden möchte. Damit übertragen wir den Kindern Kompetenz. Einige Kinder nehmen die Aufgabe an, andere möchten in entscheidenden Momenten lieber nicht rein, da sie fürchten, einen Fehler zu machen, der zur Niederlage führt. Wir respektieren die Entscheidung der Kinder immer.

Mit der Zeit hat sich ein wunderbarer Nebeneffekt eingestellt: Die Kinder kommen sehr häufig mit konkreten Fragen und Bitten um Feedback auf uns zu. Ich führe das darauf zurück, dass sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern meist genau wissen, was ihnen fehlt, damit sie den Sprung in die D1 schaffen. Die Kinder lernen also, dass sie durch ihre Anstrengung einen großen Einfluss auf ihre Entwicklung nehmen können.

In der letzten Saison stand ich mit meinem Team im Pokal-Viertelfinale. Ich folgte meinem Ansatz und ließ alle Kinder spielen. Trotz einer Führung verloren wir knapp. Dennoch hatte ich in der Kabine das Gefühl, dass sich alle als Gewinner empfanden, weil es ein Superspiel war. Diese sportliche Niederlage war für den Zusammenhalt und die Entwicklung einiger Kinder ein Riesengewinn. Und für mich eine erneute Erinnerung an meinen Auftrag als Kinder- und Jugendtrainer.

Protokoll: Oliver Fritsch


Kinderfußball

Fehler sind etwas Tolles

Wer im Nachwuchszentrum eines Bundesligavereins nicht spurt, wird aussortiert. Doch wir an der Basis arbeiten mit allen Kindern, die kommen. Den einfachen, den schwierigen, den talentierten, den weniger talentierten.

Wir Jugendtrainer müssen am Ende eines langen Tages den Pädagogen, die Streitschlichterin und den Motivator in einer Person vereinen. Dabei fangen wir das auf, was im Laufe eines Tages auf die Kinder eingeprasselt ist. Welche Trainerin einer F- bis zur C-Jugend kennt es nicht? Man bereitet eine Einheit vor, malt sich aus, wie perfekt sie laufen wird und die Kids das Erlernte im Spiel umsetzen werden. Auf dem Platz holt uns dann die Realität ein. Immer wieder erleben wir Kinder, die durch grenzüberschreitendes Verhalten das gesamte Training torpedieren. Die Bandbreite an sozial Unverträglichem ist groß: physische Aggression anderen gegenüber, geringe Frustrationstoleranz, Trotz. Oft fällt uns als Reaktion auf diese Hilferufe der Kinder nur die klassische Sanktion ein, oder, wenn wir völlig verzweifelt sind, der Ausschluss aus dem Training.

Ich möchte in den kommenden Beiträgen einige Hilfestellungen anbieten, um Verständnis für die Kinder zu entwickeln, und Trainerinnen und Trainern helfen, die Kinder zu einer Verhaltensänderung zu motivieren. Ich beginne mit dem Phänomen, das mir persönlich am häufigsten begegnet. Zuletzt vorige Woche, da baute ich ein Koordinationstraining auf, das viele attraktive Übungen mit und ohne Ball enthielt. Wie immer gab es bekannte und unbekannte Übungen. Nach fünf Minuten zeigten sich vier Reaktionen unter den Kindern:

  • Manche gingen selbstbewusst und neugierig immer wieder an alle Übungen heran, ohne Angst vor Fehlern.
  • Manche konzentrierten sich auf ein paar Übungen, die sie beherrschten. Die anderen Übungen, die ihnen schwer fielen, probierten sie zwar aus, aber mieden sie danach.
  • Manche verblieben bei der einzigen Übung, die sie besonders gut beherrschten.
  • Manche standen nur am Rand und beobachten andere, störten sie sogar mitunter.

Ich ging zu einzelnen, frustriert blickenden Kindern und fragte, warum sie keine Übung probierten oder nur bei einer verblieben. Ihre Antworten: „Ich kann das sowieso nicht.“ „Ich werde das nie lernen.“ „Kein Bock.“

Dahinter steckte eindeutig Frustvermeidung, denn diese Kinder haben von früh gelernt, dass Fehler etwas Negatives sind, für das man Tadel erhält. Wir Erwachsene sollten uns allerdings bewusst machen: Ohne Fehler gäbe es keinen Lernprozess. Jegliches Lernen basiert auf Fehlern. Ein Kind, das laufen lernt, fällt bis zu 100 Mal täglich hin. Wir sollten alle also dazu ermutigen, Fehler zu machen. Das tun wir am besten, in dem wir uns an fünf Regeln halten:


  1. Fehler „entkriminalisieren“, indem man öfter auch erwähnt, dass man selbst auch Fehler macht und dies durch Beispiele belegt. Ideal ist es, wenn man sogar mal einen Fehler im Training macht und dies dann vor der Gruppe eingesteht: „Ups, das habe ich falsch erklärt. Sorry, mein Fehler. Ich erkläre es noch mal neu.“ Solche Sätze gehören bei uns beinahe zum Alltag, und das stärkt unsere Gruppe.

  2. Den Nutzen von Fehlern aufzeigen, durch Sätze wie: „Nur wer Fehler macht, kann daraus lernen. Also, probier es nochmal und nochmal und nochmal, bis es klappt.“ 

  3. Eine Atmosphäre schaffen, in der Fehler erwünscht sind. „Toll, dass du das probiert hast. Ich habe gesehen, dass es noch nicht perfekt war, aber ich feiere deinen Mut.“ 

  4. Den nächsten Schritt einfordern: „Ein Fehler signalisiert dir, dass da noch Luft nach oben ist. Also dass du dich noch verbessern musst. Bleib dran, von nix kommt nix!“ 

  5. Den Lernerfolg zurückmelden: „Siehst du, du hast gearbeitet, bist dran geblieben, hast Fehler gemacht, aber schau wo es dich hingebracht hat. Heute kannst du es und das hast du dir selbst erarbeitet. Du kannst stolz auf dich sein, ich bin es jedenfalls.“

Wir als Trainerinnen und Trainer müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass Kinder, die demotiviert auf Aufgaben reagieren dieses Verhalten über lange Zeit gelernt haben. Sie haben auch gelernt, die negativen Gefühle, die durch Fehler und Scheitern entstehen, zu vermeiden. Deshalb sollten wir uns in Zukunft immer, wenn wir den Satz „Ich kann das doch eh nicht“ hören, daran erinnern, dass Fehler etwas Tolles sind. Nämlich eine Chance für uns als Trainer, Kindern eine neue Sichtweise auf Fehler einzunehmen. Also antworten wir: „Das ist doch super und außerdem der Grund, warum du hier bist. Du kommst zum Training, weil du es lernen willst und nicht, weil du es schon kannst.“

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Zum Abschluss stellen Sie sich bitte folgende Geschichte eines Jungen vor:
Als Kind hatte er einen unbändigen Spiel- und Entdeckertrieb. Er probierte, wenn es nötig war, hunderte Male das gleiche, bis er endlich zum Erfolg kam. Als er älter wurde, passierten auf einmal komische Dinge. Als er einmal etwas nicht auf Anhieb schaffte, signalisierten ihm seine Eltern, dass es falsch war. Dadurch hatte er das Gefühl, sie zu enttäuschen. In der Schule wurden seine Fehler mit einem roten Stift markiert, und wenn er mal zu viele gemacht hatte, wurde ihm ein weinender Smiley ins Heft gemalt. Fußball spielte er immer total gerne, am liebsten im Verein mit Freunden. Samstags gab es Spiele. Wenn er allerdings zu viele Fehler machte und das Spiel verloren ging, waren auch alle enttäuscht, Eltern, die Trainerin, die Mitspieler. Deshalb entschied er, keine Fehler mehr zu machen. Von Sachen, die er nicht sogleich schaffte, ließ er fortan die Finger.

Und noch etwas generelles, liebe Leserinnen und Leser: Ich freue mich auf Hinweise und Themenvorschläge. Am besten Sie schreiben es unten in die Kommentarspalte. Ich selbst habe übrigens auch genug Fehler gemacht. Von einem sehr speziellen erzähle ich in einer meiner kommenden HARTPLATZHELDEN-Kolumnen.