Lasst den Kindern das Kommando!
Straßenfußball heißt das neue Zauberwort beim DFB. Richtig so, denn auf kleinen Spielfeldern lernt man Kicken. Doch die Reform ginge noch radikaler. Von MICHAEL FRANKE
Fußball ist ein Teamsport, der mit einfachsten Mitteln betrieben werden kann. In meiner Kindheit reichte eine zusammengetretene Getränkedose in Kombination mit zwei Abfalleimern, um zu kicken. Schon in diesem Setting hatte das Spiel die grundlegenden Funktionen, also Spaß an Bewegung und sozialer Interaktion. Zugegeben, das ist lange her.
Seitdem hat sich um das Spiel eine komplexe kommerzielle Welt gebildet, die dazu führt, dass die Ansprüche an das Spiel und den organisatorischen Rahmen dafür stetig steigen. Im Jugendfußball bedeutet das, dass die Infrastruktur top sein soll. TrainerInnen müssen sportlich überzeugen, aber auch organisatorisch, menschlich und pädagogisch stark sein. Eine engagierte Betreuung der oft anspruchsvollen Elternschaft ist ohnehin obligatorisch.
Sportlicher Erfolg und sportliche Entwicklung der Kinder sollten natürlich auch gegeben sein. Um dies zu gewährleisten, zerbrechen sich zahllose Verantwortliche in Verbänden und Vereinen ihre Köpfe. Inzwischen sind sie zu der Auffassung gekommen, dass sie in der Vergangenheit in der Ausbildung zu sehr auf Taktik gesetzt haben könnten. Nun sollen wieder Individualisten statt Systemfußballer den deutschen Fußball in die Weltspitze katapultieren.
Das Zauberwort lautet Straßenfußball. Er wird wieder zum Vorbild für immer mehr unterschiedliche Spielformen. Unter dem Begriff Funino reformiert der DFB den Kinderfußball, er enthält sehr viele Minispielformen.
Doch ist es tatsächlich möglich, den ausgestorbenen Straßenfußball zu simulieren?
Einerseits ja. Messbare Größen, wie die Zahl der Ballkontakte, die Intensität des Spiels oder auch die Zahl der gespielten Minuten lassen sich mit den Reformen definitiv signifikant positiv beeinflussen. Dieser Haken darf gesetzt werden.
Straßenfußball ist aber so viel mehr. Wer kannte sie nicht, die Diskussionen um die Art der Tore, die permanente Anpassung von Regeln an die Gegebenheiten, die Diskussionen, ob der Ball im Tor war, oder am imaginären Pfosten des Tors aus zwei Kleidungsstücken?
Auslinien gab es ohnehin keine, dafür aber Luftaus, wenn der Ball die gedachte Linie in der Luft überschritten hatte. Der Straßenfußball war immer auch eine Schule der Kommunikation, des permanenten Diskurses um immer wieder neue Regeln und des Ausgleichs zwischen verschiedenen Meinungen.
Und hier stoßen, andererseits, alle Versuche, den Bolzplatzfußball zu imitieren, an ihre Grenze. Denn die neuen Spielformen haben feste Regeln. Regeln, die von Erwachsenen vorgegeben sind. Der Aufbau ist detailliert festgelegt, auch die Spielregeln selbst. Ballgewicht, Spielfeldgröße, Torgröße, Zahl der Spieler. Das muss bei Turnieren der Gerechtigkeit halber wohl so sein.
Wirklich? Sind hier alle Optionen ausgereizt? Warum lassen wir den Kindern nicht viel mehr Freiräume? Etwa in der Organisation des Trainingsspiels. Von der Form des Balles, der Zahl der Spieler, der Spielfeldgröße bis hin zur klassischen Mannschaftswahl. Sie können das. Wir konnten es ja früher auch.
Ich denke, es wäre den Versuch wert. Denn gerade die Kommunikation bleibt im normalen Standardtraining häufig auf der Strecke. Dabei ist sie ein wichtiges pädagogisches Ziel im Sport. Lasst den Kindern das Kommando!
Jugendtrainer: »Ach, die sind hier gar nicht angestellt?«
Hartplatzhelden-Kolumne #75: »Sie sollen fachlich überzeugen, methodisch auf Höhe der Zeit und den Kindern Vorbild sein. Und das alles am besten ehrenamtlich. Es wird Zeit, die Jugendtrainer besser zu unterstützen. Wir haben einen Plan.« Von GERD THOMAS
Jugendtrainer und -trainerinnen sind für Kinder und Jugendliche wichtige Bezugspersonen. Oft bekommen sie Dinge mit, die Eltern oder Lehrkräften verborgen bleiben. Manchmal werden sie sogar zur Hauptansprechperson. In vielen Familien läuft es nicht rund, in der Schule oft noch weniger. Beim Fußball sind die Kinder und Jugendlichen in einer anderen Umgebung. Hier zählen keine Schulnoten, sondern Tore, Tunnel, Hackentricks sowie Miteinander und Freundschaften. Ohne den Mannschaftssport glorifizieren zu wollen, für viele Kinder ist der Sportplatz die Wohlfühlzone.
Den Coaches kommt die große Verantwortung zu, eine vertraute Atmosphäre herzustellen und aufrechtzuerhalten. Doch wie können sie diese Aufgabe meistern? Es gibt große Unterschiede, nicht zuletzt bezüglich der Erfahrung. Wir haben einen Trainer, er ist Pädagoge, er trainiert länger als fünfzehn Jahren Kinder, auf Klein- wie Großfeld, Anfänger und Leistungsstarke. Da er auch als Mentor für jüngere Trainer fungiert, kann man von einem Idealfall sprechen – der leider nicht häufig vorkommt.
Was ist aber mit den Traineranfängern? Was kommt auf sie zu, und wie bereiten wir sie auf die Saison vor? Ein Trainer eint viele Funktionen in einer Person. In erster Linie ist er Übungsleiter, aber auch Kummerkasten, Zeugwart, Ansprechpartner für Eltern, Organisator von Auswärtsfahrten und vieles mehr. Genau diesen Spagat hat jüngst der SZ-Redakteur Peter Linden in einem „Selbstversuch“ als U11-Jugendtrainer des Sohns sehr anschaulich beschrieben. Viele Eltern erwarten von ihm, er müsse fußballerisch und taktisch versiert sein. Selbst wenn er im echten Leben Jura studiert oder eine Ausbildung zum Mechatroniker macht, verlangt man von ihm, methodische Kniffe zu beherrschen und didaktisch auf dem neuesten Stand zu sein. Logisch, dass er sich in allen Präventionsfeldern auskennen soll, von Kinderschutz über Rassismus bis zur Gewaltvorbeugung.
I am text block. ClickManchmal fragen wir Eltern, was sie glauben, was Trainer aus ihrer Sicht alles leisten können müssen. Hin und wieder kommt im Gespräch die Rückfrage: „Ach, die sind hier gar nicht angestellt?“ Das ist der Moment, in dem man sich als Vereinsfunktionär besser einen Kaffee holt und tief durchatmet, statt gleich zu antworten: „Schon mal nachgedacht? Woher soll denn das Geld dafür kommen? Von den Mitgliedsbeiträgen?“ Dass diese möglichst niedrig sein sollen, muss kaum erwähnt werden. Vier Wochen Fernreise „all inclusive“ oder die Steuern für den SUV sind kein Problem, aber der Verein, in dem der Filius dreimal die Woche unter Aufsicht zubringt (und was fürs Leben lernt), soll möglichst wenig kosten.edit button to change this text. Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.
Trainer haben großen Einfluss darauf, wie sich ihre Spieler dem Feld verhalten, denn sie sind Vorbilder. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir mit diesem wohl höchsten Gut eines Vereins adäquat umgehen. Wir haben beim FC Internationale daher ein Konzept entwickelt, das wir mit vielen Vereinen teilen möchten. Es hat die Stärkung der Trainerinnen und Trainer zum Ziel.
Im März wollen wir mit dem „Berliner Netzwerk Fußball und Gesellschaft“ eine Veranstaltung durchführen, in der wir den Bedingungen für die Coaches auf den Grund gehen. Auch der Berliner Fußball-Verband wird involviert sein. Im ersten Schritt geht es darum, die Probleme zu identifizieren. Das geschieht nicht wie üblich im Top-Down-Prinzip, sondern in Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Sie wissen am besten, was los ist. Danach wollen wir Lösungsansätze erarbeiten, natürlich auch partizipativ mit den Trainerinnen und Trainern. Auch Eltern und Vorstände können sich einbringen, denn nur die Teilnahme vieler Interessensgruppen führt zu tragfähigen Verbesserungen.
Angedacht ist, die Ergebnisse zu verschriftlichen und auch Vereinen zur Verfügung zu stellen, die nicht teilnehmen. Wir haben ein Interesse daran, dass sich die Bedingungen nicht nur in wenigen Vereinen verbessern, sondern grundlegend. Wir glauben daran, dass positive Veränderungen am besten aus sich selbst heraus passieren. Es sind so viel Wissen, so viel Kreativität, so viel Leidenschaft bei den Ausbildern unserer Kinder vorhanden, das sollten wir nutzen.
Möglich, dass auch die Ausbildung der Verbände, die weitgehend vom DFB gesteuert wird, zum Thema wird. Diskussionen dazu gab es zuletzt reichlich, zu Kosten wie zu Inhalten. Man könnte meinen, die DFB-Verantwortlichen hätten nichts dagegen, dass die Debatte im Tagesgeschäft untergeht, was ich für einen schweren Fehler halte. Die Basis meckert in diesem Fall nicht einfach drauf los, sie hat auch gute Argumente für ihr Urteil.
Doch will man die in der Frankfurter Akademie auch wirklich hören? Wen interessiert es wirklich, wenn die Vereine nicht mehr in der Lage sind, A- oder B-Lizenzen zu finanzieren? Beim DFB-Amateurfußball-Kongress stand das Thema nicht auf der Tagesordnung.
Übrigens: Wir vom FC Internationale Berlin wollen uns nicht nur um die Belange der Trainerinnen und Trainer kümmern. Zwei andere Termine werden sich mit der Stärkung der Vereinsvorstände und mit dem viel diskutierten Thema Eltern widmen. Wir haben großartige Verstärkung gefunden: Susanne Amar, Expertin für Fußballeltern. Auch andere Fachleute haben zugesagt.
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Ich sage etwas, das ich selten sage: Der Plan des DFB ist sehr gut
https://youtu.be/fyZy_m8nLWE
Ich war selbst mal verbohrt. Als ich noch ein junger Trainer war, habe ich mich gegen eine neue Idee gewehrt, obwohl sie gut war. Die Spielfelder für Kinder wurden damals verkleinert. Mir war klar, dass wir keine Chance mehr haben würden, gegen 1860 München oder den FC Bayern. Auf dem größeren konnten wir diese Gegner schon mal schlagen, weil ich auf die Vorteile meiner körperlich stärkeren Spieler setzte. Gewinnen war mir damals wichtiger als langfristige Entwicklung, das war ein Fehler.
Insofern kann ich den Widerstand gegen die Reform zumindest im ersten Moment nachempfinden, die dem DFB jetzt entgegenschlägt. Der Verband wird den Kinderfußball reformieren. Ab 2024 werden die Altersklassen unter elf Jahren ihre Wettbewerbe anders austragen als bisher. Es gibt keine Ligen und Tabellen mehr, auch keine Spiele im herkömmlichen Sinne. Stattdessen finden Turniere zwischen Mini-Teams aus zwei oder drei Spielern statt, und das Feld ist nur noch so groß wie beim Basketball. Die auffälligste Änderung: Man spielt auf vier kleine Tore, nicht mehr auf zwei große. Das ganze nennt sich Funino.
Das finden nicht alle in den Vereinen gut. Funino erfordert eine andere Organisation. Manche sagen: Das ist doch kein richtiger Fußball. Manche Ablehnung rührt aber auch daher, dass man sich vom DFB nichts mehr sagen lassen will. Der neue Minifußball ist gar Gegenstand eines Kulturkampfs geworden. „Wir züchten ein Volk von neurotischen Loser-Memmen“, schrieb ein User auf Twitter, der ein Herz für die FDP im Profil stehen hat.
Ihm sei von jemandem an der Basis gesagt, der viele Jahre mit Jugendlichen auf und neben dem Platz steht: Nichts könnte falscher sein. Funino, das beim FC Barcelona erprobt wurde, ist großartig. Es macht Kindern Spaß und Studien ergeben, dass sie schneller Passen und Freilaufen lernen. Sie erlangen mehr Spielübersicht. Proficlubs wie die TSG Hoffenheim, der FC St. Pauli oder der 1. FC Nürnberg haben beste Erfahrungen damit gemacht. Auch in den kleinen Vereinen funktioniert das wunderbar.
Im Vordergrund steht also nicht, wie kolportiert, eine Wohlfühlpädagogik, sondern klare Ausbildungsziele. Funino schöpft Talent besser und umfangreicher aus, weil es von allen Beteiligten stetes Aktivsein verlangt. Die Spielerinnen bekommen viel öfter den Ball, sie müssen ständig angreifen oder verteidigen, Zweikämpfe führen, Gegnerinnen ausspielen. Eine Pause können sie sich nicht erlauben. Das ist im konventionellen Sieben gegen Sieben oder Elf gegen Elf anders.
Beim Drei gegen Drei nehmen die Schwächeren auch am Spiel teil, sie schießen sogar Tore. Schwächer heißt ja nicht unbedingt schlechter, verschiedene Kinder befinden sich meist auf einem verschiedenen Entwicklungsstand. Ein Altersunterschied von acht oder elf Monaten kann riesig sein. Funino wirkt der ungerechten Praxis, Kinder unwillentlich zu benachteiligen, die im November oder Dezember geboren sind, entgegen.
Funino verzichtet auf die Torspieler, aber auf diese Position sollte man sich ohnehin später spezialisieren. Manuel Neuers Nachfolger müssen das Spiel mit dem Ball am Fuß beherrschen. Und durch eine Sechs-Meter-Zone werden Weitschüsse verhindert. Im alten Modell hat es oft genügt, hoch zu schießen, um ein Tor zu erzielen. Denn die Latte hing zu hoch für den Knirps, der drin stand. Es hat also Spielverhalten gefördert, das sich auf lange Sicht als nicht zielführend herausgestellt hat. Um ein Tor beim Funino zu erzielen, muss man sich mehr einfallen lassen.
Die Erfinder von Funino haben gesagt: Wir passen die Regeln dem Kind an. Dadurch ist es ein Spiel, für das sie körperlich bereit sind. Und mental, den Schiedsrichter gaben sie selbst. Gefoult wird in diesem Alter ohnehin fast nie.
Eine weitere Sonderregel finde ich ganz wichtig: Gewechselt wird (falls Wechselspielerin vorhanden) nach jedem Tor automatisch in der Rotation. Funino verändert also auch die Rolle des Trainers. Ich hatte selbst mal einen Bambini-Kader von 22 Spielern. Jedes Wochenende musste ich der Hälfte meiner Spieler mitteilen: Du bist diesmal nicht dabei. Vier weitere Kids saßen auf der Bank. In einem engen Spiel wechselte ich bei einer 1:0-Führung mal einen schwächeren Spieler ein, dann verloren wir noch 1:2. Das nahmen mir andere Spieler und auch Eltern übel.
Nun bestimmt nicht mehr der Trainer, wer spielt und wer nicht. Welch eine Erleichterung! Auch die Eltern, hochmotiviert, sind kein Problem mehr, denn Funino gehört ganz den Kindern. Die wollen, das ist zumindest meine Erfahrung, zumindest ab einem gewissen Alter, aber auch ab und an mal aufs große Feld, mit Torspieler im Tor, den Sieg gegen den Nachbarverein, eine Tabelle. Diesem Wusch nach Old School sollten Vereine und Verbände gerecht werden und solche Wettbewerbsformen weiterhin einstreuen.
Doch ansonsten sage ich etwas, das ich selten sage: Der Plan des DFB für den neuen Kinderfußball ist sehr gut.
Jugendfußball: »Mehr Förderung für Deutschlands Sozialprojekt Nr. 1!«
In den letzten Monaten habe ich viel über soziale Projekten gelesen, in denen mit Hilfe des Fußballs versucht wird, junge Menschen zu
stabilisieren. Fast immer geht es um Zielgruppen, die über den Sport besser erreichbar sind als über herkömmliche Wege wie die Schule. Es ist begrüßenswert, dass die Kraft des Fußballs zur Verbesserung der Gesellschaft genutzt wird.
Gleichwohl lesen sich die meisten Berichte der durchführenden Organisationen, als würde dort die Welt neu erfunden, was natürlich nicht stimmt. Vielmehr haben diese durch teilweise riesige Fördermengen ganz andere Möglichkeiten als die Vereine. Ob sie immer ideal genutzt werden? Ich würde sagen: Es gibt solche und solche. Und wenn Projekte mit siebenstelligen Summen unterstützt werden, kann man auch erwarten, dass am Ende ein Ergebnis steht.
Zur Steigerung der Effizienz hätte ich einen anderen Vorschlag, nämlich die Kooperation mit Vereinen. Denn in den vielen Amateurclubs mit funktionierenden Jugendabteilungen (was nicht auf alle zutrifft) findet die wahre Teilhabe statt. Hier spielen Kinder und Jugendliche verschiedener Herkunft und Milieus miteinander, hier wird meist nicht auf Unterschiede geachtet, sondern auf die Gemeinschaft.
Hier spielt der 10-jährige Junge aus Schöneberg mit dem aus der Grunewald-Villa in einem Team, trägt das gleiche Trikot, gewinnt und verliert gemeinsam. Hier trifft die Bildungsbürgertochter aus dem Eppendorfer Altbau auf die Jugendliche aus der Steilshooper Trabentenstadt. Hier wird das vollzogen, was landläufig als Integrationsarbeit verstanden wird. Arm und Reich, Biodeutsch und Zuwanderung treffen auf-, spielen miteinander.
Beim FC Internationale sind wir seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. In den ersten fünf Jahren haben wir je 1.000 Euro dafür
bekommen, seitdem ist uns der Titel zwar Verpflichtung, aber wir erhalten keine finanzielle Zuwendung. Gleichwohl wird bei uns wie bei vielen anderen Vereinen täglich Zusammengehörigkeit gelebt. Menschen mit Familienwurzeln aus mehr als siebzig Nationen spielen und trainieren gemeinsam, einige mit großen Ambitionen, andere just for fun.
Was aber alle gemeinsam haben, ist das Erlernen von so genannten Soft Skills, darunter so vermeintlich profane Dinge wie Respekt, Teamgeist,
Frustrationstoleranz, Motivation, Ehrgeiz oder Durchhaltevermögen. Diese Fähigkeiten werden im Fußballverein von Coaches vermittelt, in Projekten lässt man sich das teuer bezahlen – durchaus zu Recht im Übrigen.
Nur besteht zwischen Ehrenamt und Beruf eine immer tiefere Kluft. Von den einen wird erwartet, dass sie kostenlos ihren Dienst an der Gesellschaft leisten, andere werden honoriert, wenn im sozialen Bereich leider auch oft zu schlecht. Warum verbinden wir die Dinge nicht?
Wir könnten die Aufgaben teilen. Bildungsträger könnten Anträge schreiben und soziale Kompetenzen einbringen, Vereine das Training durchführen und die spezifischen Anforderungen der Aktiven erläutern, zudem sportliche Infrastruktur zur Verfügung stellen. Gewinnen würden vor allem die Projektteilnehmenden, aber auch die Kommunen, die durch funktionierende Kooperations-Projekte eine Aufwertung erfahren.
Ideal wäre, wenn sich zudem Unternehmen beteiligen würden. Und auch sie könnten profitieren, etwa indem junge Menschen in der Persönlichkeit gestärkt werden, aber auch leichter zu identifizieren sind, nämlich vor der Haustür. Nachhaltig betrachtet dürfte das auch kostengünstiger sein als die Suche nach Fachkräften auf Online-Portalen oder über teure Headhunter.
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Nachwuchsfußball: Das große Aussortieren der NLZs
Hartplatzhelden-Kolumne #47: Die Nachwuchsleistungszentren bilden, pädagogisch wertvoll, die Fußballstars von morgen aus, heißt es beim DFB. Eine neue Studie zeigt: Die Realität ist erschreckend anders. Von MICHAEL FRANKE
Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sind eine Säule der Jugendausbildung im DFB. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 50, in denen die regionalen Spitzentalente aller Jahrgänge weiterentwickelt werden sollen, mancherorts schon ab der U8. Vereine der 1. und 2. Bundesliga sind verpflichtet, ein NLZ zu betreiben. Einige Dritt- und Oberligisten betreiben aber auch solche Einrichtungen, um Talente bestmöglich zu entwickeln.
Die NLZ betonen vor allem immer folgendes:
- die frühe Entdeckung von Spitzentalenten
- die langfristige Entwicklung der Spieler im NLZ
- den Vorrang der schulischen vor der sportlichen Ausbildung
- das Ziel, Eigengewächse für die eigenen Herrenteams auszubilden.
Die Nachwuchsleistungszentren, heißt es, bilden mit Fachkenntnis und pädagogisch wertvoll die Fußballstars von morgen aus. Das klingt super. Eine Metastudie von Professor Arne Güllich (TU Kaiserslautern), die dem Verfasser vorab vorliegt, kommt aber zu einem ganz anderen Ergebnis. Darin wertet Güllich Daten aus den deutschen NLZ sowie über 30 internationalen „Youth Soccer Academies“ aus.
Die Ergebnisse zeigen im Gegensatz zur Theorie folgende NLZ-Realität: Es gibt eine hohe Frequenz des Spieleraustauschs in allen Altersklassen, durchschnittlich 29 Prozent der Spieler eines Jahrgangs). Und Profis, die erfolgreich wurde, waren erst in späterem Alter in die Leistungszentren gekommen als weniger erfolgreiche. Eine frühere Förderung hängt also mit geringerem Erfolg im Erwachsenenalter zusammen. Anstatt Kinder langfristig zu entwickeln, werden diese bei Nichtgenügen ausgetauscht.
Güllich kommt noch zu anderen bedenklichen Ergebnisse: Der kurzfristige Teamerfolg steht über der langfristigen Entwicklung einzelner Spieler. Der Anteil neu verpflichteter auswärtiger Spieler steigt stetig. Und Fußball hat Vorrang vor schulischer Bildung.
Diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu und waren regelmäßig Teil der Kritik an der Arbeit der NLZ. Nun sind diese bisherigen Vermutungen aber erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, und zwar in erstaunlichem hohen Ausmaß. Daraus resultieren große Zweifel an der Arbeit in den NLZ.
Die hohe Frequenz des Spieleraustauschs etwa stellt das System des Scoutings von Kindern in Frage. Die Daten zeigen deutlich, dass die Talentsichtung in den Altersstufen U8 bis U14 nicht sinnvoll ist. Eine zuverlässige Entwicklungsprognose ist bei Kindern unter 14 Jahren nicht möglich.
So finden sich beispielsweise nach acht Jahren nur mehr 9 Prozent der ursprünglichen U11-Spieler im NLZ in der U19. Der Rest wird zwischen der U11 und der U19 aussortiert. Am Ende verbleibt weniger als 1 Prozent der U11-Spieler, das den Übergang in ein Herrenteam schafft. Ein U15-Spieler, der in ein NLZ wechselt, hat immerhin eine Chance von etwa 10 Prozent, im NLZ den Übergang ins Erwachsenenalter zu schaffen.
Im Wissen, dass darüber hinaus rund 50 Prozent der aus dem NLZ entlassenen Spieler medizinisch belegbare psychische Folgeschäden erleiden, erscheint die Vorgehensweise der regelmäßigen Selektion der NLZ kaum noch zu verantworten.
Auch spannend: Ein Großteil der Herrenspieler internationaler Klasse hat als Jugendlicher weniger Zeit für die Hauptsportart Fußball aufgewandt und sich einer Zweitsportart zugewandt. Das bedeutet, die sportliche Entwicklung setzte bei diesen Spielern später, dafür aber nachhaltiger ein. Die hohe Intensität der Hauptsportart im Kindesalter führt also zu einer beschleunigten sportlichen Entwicklung der Kinder, ist aber für die spätere Leistungsentwicklung im Erwachsenenalter eher schädlich.
Die leistungsstärksten erwachsenen Spieler hatten als Kinder eine moderate Trainingsintensität, praktizierten verschiedene Sportarten, spielten länger in ihrem Heimatverein und blieben von den negativen Einflüssen einer frühen Intensivförderung im NLZ verschont. Sie minimierten ihre persönlichen Einschränkungen als Kinder und Jugendliche, während sie ihr langfristiges Entwicklungspotential steigerten.
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