Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht
Wir sollen wieder loslegen, aber ich habe noch keine Ahnung, wie das alles gehen soll. Die Profis haben es vorgemacht, mit dem entsprechenden Hygienekonzept war das am Ende gar kein großes Problem. Nun sollen auch die Amateure wieder auf den Platz. Mit Datum vom 10. Juli 2020 erhielten wir Post vom DFB. Er schickte ein Papier samt Hilfestellungen, wie wir wieder den Spielbetrieb aufnehmen können, wollen, sollen. Im September soll es so weit sein.
Es ist wie so oft: Der Verband schmückt sich in der Öffentlichkeit mit seinen Plänen, aber vor der entscheidenden Verantwortung drückt er sich. Denn die Arbeit im Detail obliegt den Vereinen. Und da steckt der Teufel, die Umsetzung bedeutet enormen Aufwand. Alleine die Vorbereitung und Entwicklung eines Hygieneplans nimmt viel Zeit in Anspruch. Dazu kommt die Benennung eines Hygienebeauftragten und die Erstellung und Abstimmung eines Hygienekonzeptes mit dem örtlichen Gesundheitsamt.
Wir haben Gottseidank seit gut einem Jahr Anke, unsere hauptamtliche Geschäftsführerin, eine Vollzeitkraft. Das ist ein großer Vorteil. Ohne sie wäre es so gut wie unmöglich. Die wenigsten Vereine haben eine solche Stelle. Schon in den vergangenen Monaten saßen wir oft zusammen im Geschäftszimmer, Gunter, mein Stellvertreter, Anke und ich. Wir verbrachten hier etliche Stunden gemeinsam, mit erforderlichem Abstand, um Corona-Verordnungen zu lesen, interpretieren, umzusetzen. Manch weitere Stunde ging drauf für Diskussionen mit Trainern und Übungsleitern, die jeweils anderes aus der Presse oder den Empfehlungen der Sportverbände heraus gelesen hatten.
Nach mittlerweile gut zwei Monaten Betrieb all unserer Sportarten auf der Anlage vertraut man uns bei der Auslegung der Verordnungen. Wir konnten und können viel verwirklichen, unsere Mitglieder treiben begeistert Sport. Nun geht es an den Wettkampf, und da will ich einen kurzen Einblick in die organisatorischen Abläufe geben. Das ist der Stand der Dinge:
Wir benennen und markieren in unserem Vereinsheim drei Zonen A, B, C und sehen zu, dass für die Berechtigten eine separate Zuwegung möglich ist. Da fängt es schon an, denn in Zone A dürfen nur die Spieler, die Trainerin und das Funktionsteam. Doch bei den Bambini fängt das Problem schon an, da sind immer Eltern dabei, die ihren Kleinen die Schuhe binden. Unsere Umkleidebereiche organisieren wir so, dass sich dreißig Spielerinnen und Spieler je Ligaspiel bei uns umziehen können. Zudem benötigt der Schiedsrichter eine Umkleide und einen desinfizierten PC. Wir haben insgesamt sechs Kabinen von 10 bis 18 Quadratmetern Größe. Wenn jede Person 1,50 Meter Abstand zur nächsten haben soll, bedeutet das einen Platzbedarf von 4,4 Quadratmeter pro Person. Das heißt, in unseren Kabinen können sich achtzehn Personen mit erforderlichem Sicherheitsabstand gleichzeitig umkleiden.
Wir rechnen jeweils mit einer halbe Stunde Umkleiden für die ersten achtzehn Personen, dann eine Viertelstunde Desinfektion und Lüftung und eine weitere halbe Stunde Umkleiden für den Rest der Mannschaften, jeweils vor dem Spiel und danach. Die Duschen lassen wir geschlossen, sonst wird es zu eng. Wenn wir so kalkulieren, kommt sind wir bei 4,25 Stunden, das ist viel Zeit für ein einziges Spiel. Man muss bedenken: Wir haben dreißig Mannschaften im Senioren- und Jugendbereich, davon spielt die Hälfte am Wochenende bei uns auf der Anlage. In der Regel finden alleine an Samstagen zwölf Jugendspiele bei uns statt.
Wir stehen erst am Anfang unserer Überlegungen. Es gibt sicher noch Möglichkeiten, Zeit zu sparen, etwa durch zeitversetztes Umkleiden. Oder man zieht sich weitgehend zuhause um, im Sommer mag das funktionieren. Dennoch, der Plan mit dem Neustart ist nicht zu Ende durchdacht. Wir denken, man müsste mit einem Sparprogramm beginnen, also mit weniger Spielen, und das ganze straffer und flexibler organisieren. Doch da müsste der Verband vorangehen. Das tut er jedoch nicht. Seine Vorgehensweise ist abgehoben und basisfern.
Und was passiert erst, wenn alle Düsseldorfer Fußballvereine beim Gesundheitsamt vorstellig werden, um ihre individuellen Hygienekonzepte abzustimmen? Nicht nur in unserem Verein stellen wir uns zurzeit die Frage: Ein geordneter Spielbetrieb für alle Fußballmannschaften, von Bambini bis Senior, wie soll das gehen?
Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt
Kommen alle zurück? Als Vorsitzender eines Fußballvereins ist das meine größte Corona-Sorge, auch wenn jetzt alle über Saisonabbruch und Einnahmeverluste debattieren. Manche mögen denken: Wenn es wieder losgeht, strömen die Spieler, Trainer, Betreuer und Fans auf den Sportplatz. Klingt logisch, ist aber keineswegs gesagt. Mein Eindruck ist, das kann ganz anders kommen. Die vielen Monate der Unterbrechung haben die Leute möglicherweise vom Fußball entwöhnt und fußballferne Verhaltensmuster gefestigt. Es freute sich die Frau oder Freundin. Es freute sich manch Chef über Potential für Mehrarbeit.
Das Handicap im Mannschaftssport war nun mal schon immer die
Zeitgebundenheit. Zeit ist eine wertvollere Währung als früher. Zweimal
wöchentlich Training, Spiel am Wochenende. In vielen Familien waren
diese Termine Taktgeber. Doch seit der Pandemie stehen Dienstag- und
Donnerstagabend zur freien Verfügung.
Der Amateurfußball wird enorme Widerstände überwinden müssen, um wieder den gewohnten Platz im Leben zurückzuerobern. Es wird ein ungewisser Neustart. Da sind zum einen die Spieler. Ich kenne es aus anderen Zusammenhängen. Nach langen Unterbrechungen, zum Beispiel nach jeder Winterpause, erscheinen einige nicht mehr. Gerade dann verliert der Fußball regelmäßig viele Kicker in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter. Da stürmt vieles auf die jungen Menschen ein, da bieten sich ihnen viele andere Optionen, auch Sportarten. Basketball ist schon lange ein ernster Konkurrent, Parkour ist zurzeit sehr angesagt. Jetzt ist die Gefahr größer als sonst, denn wir befinden uns praktisch im sechsten Monat der Winterpause. In Bayern dauert die von Mitte November bis Anfang März, wir hatten unseren Betrieb vor Corona noch gar nicht wiederaufgenommen.
Da sind zum anderen die Trainer, Betreuer und Ehrenamtlichen. Die Corona-Pause ist eine einschneidende Lebensphase, für viele ist sie eine Zeit der Selbstreflexion, ich merke das auch in meiner Familie. Mancher fragt sich: Was mache ich mit meinem Leben? Lass ich mich seit Jahren vom Fußball ausbeuten? Es wäre ein großer Schaden, wenn manch Vorstandsmitglied zur nächsten Wahl nicht mehr antritt oder einige Jugendtrainer in der nächsten oder übernächsten Saison aufhören. Dann würden wir wichtige Helfer langfristig verlieren.
Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt den Kontakt zu unseren Mitgliedern halten, dass wir viel mit ihnen sprechen. Sie sollen den Bezug zum Verein nicht verlieren. Ich hab mir vorgenommen, den sozialen Aspekt, der schon vor Corona ein wenig verloren gegangen war, künftig wieder mehr zu betonen. Das kann ich auch anderen nur raten: weniger Punktprämien, mehr Mannschaftsabende und freie Getränke, mehr Leben im Vereinsheim, mehr Kümmern und füreinander dasein. Wir wollen, wie wir stets behaupten, die Familie sein. Jetzt erst recht. Dann ist Corona auch eine Chance, vielleicht halten wir dann alle, vielleicht gewinnen wir sogar den einen oder die andere. Wenn wir wieder so werden, wenigstens ein bisschen, wie wir es früher mal waren.



